Abschied von Willi Sitte

Heute morgen habe ich gelesen, dass Willi Sitte letzte Nacht verstorben ist. Spiegel Online berichtet, die Morgenpost, die Welt und und und. Ich staune – soviel Medienresonanz hätte ich nicht erwartet, denn anders als bei Gerhard Richter, war die Aufmerksamkeit, die man Willi Sitte, einem der bedeutendsten DDR Maler in den letzten Jahren entgegenbrachte, eher gering. So gering, dass ich ihn fast völlig vergessen hatte und erst heute morgen, als ich die Startseiten der großen Nachrichtenportale durchblätterte, wieder erinnert wurde.

Und plötzlich war alles wieder da. Plötzlich waren seine Bilder in meinem Kopf wieder präsent. Ich sehe mich, wie ich als kleines Mädchen im Palast der Republik in Ostberlin stehe und überwältigt bin von der Wucht des Gemäldes “Die rote Fahne – Kampf, Leid, Sieg”. Ich hatte Angst, denn dieses Bild war eines von denen, die sich in Kinderköpfe einbrennen. Rot, blutig und voller Gewalt. Den Sieg konnte ich nicht herauslesen, selbst heute nicht, wenn ich das Bild wieder betrachte, denn er ist viel zu teuer bezahlt.

Professor Sitte wurde in der DDR als Staatskünstler bezeichnet. Ich weiß nicht, ob es ihm genehm war, ob er wirklich so linientreu war, wie ihm nach der Wende vorgeworfen wurde. Ich weiß nur, dass er so viel mehr konnte, als den Sozialistischen Realismus auf riesige Leinwände zu bringen. Und dass er ein Weinliebhaber war. In den Jahren 1986/87 nutze er seine Westkontakte und organisierte Pflanzgut für die Saale-Unstrut-Weinregion, da dort durch den harten Winter viel zerstört worden war. Er selbst war Winzer und so spiegelte sich das Thema Wein in vielerlei Gestalt in seinen späteren Werken wider. Es gibt sogar zwei Weinetiketten, die von ihm gezeichnet wurden. Und irgendwie passt das für mich, denn die fleischigen Figuren erinnern mich sehr an die Zeiten in denen Wolllust und Fleischeslust die Malerei beherrschten und dicke Trauben über den Mündern von wohlgenährten, runden und nackten Männern und Frauen hingen.

Wer das Werk des mit 92 Jahren verstorbenen Künstlers betrachten möchte, muss sich aufmachen und nach Merseburg fahren. Dort befindet sich in der “Willi Sitte Galerie” eine Dauerausstellung.

Veröffentlicht am: 08.06.2013 | Kategorie: Kunst, Kunst - was sonst noch passiert,

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