Nach Epikur (341-270 v. Chr.) besteht das Universum aus Atomen, die wie Regentropfen durch ihr eigenes Gewicht in die Leere fallen. Diese endlose Kaskade von Milliarden und Abermilliarden von Atomen, die in sauberen Säulen angeordnet sind, könnte schön und langweilig sein, aber niemand würde sie sehen, weil nichts existieren würde. Epikur erklärt, dass die Atome dank einer leichten Abweichung in ihrer Flugbahn miteinander kollidieren und durch Kettenreaktionen die gesamte Materie bilden. Diese subtile Abweichung von einer vollkommen geraden Bahn bezeichnet er als Clinamen, ein Begriff, der die Phantasie der Dadaisten und Pataphysiker gleichermaßen beflügelt hat und der sich nun als Titel für die erste Einzelausstellung von Antoine Schmitt bei DAM Projects findet.
Der auf Mensch-Computer-Interaktion und künstliche Intelligenz spezialisierte Programmierer Antoine Schmitt ist ein einzigartiger bildender Künstler, der Inspirationen aus der kinetischen, kybernetischen und abstrakten Kunst in ein Werk destilliert, das oft unapologetisch minimalistisch erscheint: Das Quadrat dominiert seine abstrakten generativen Kunstwerke, manchmal mit der autoritativen Präsenz von Malewitschs Schwarzem Quadrat, manchmal integriert in eine vibrierende Vielfalt von Formen wie in Vera Molnars (Des)Ordres-Serie, aber häufiger als ein bescheidener Pixel, der eine schwarze Leere durchquert. Die Darstellung rein abstrakter Gebilde ist jedoch nicht Schmitts Ziel, wie seine interaktiven Installationen zeigen: Er interessiert sich für Menschen, Gesellschaften, das Ich, das Über-Ich und die Gesetze des Universums. Er sieht sich nicht als Mathematiker, sondern als Physiker, der wie Epikur seine Vorstellungskraft einsetzt, um eine Erklärung der Wirklichkeit zu finden und sie darzustellen.
In diesem Raum sehen wir schwarze Quadrate, die durch ihre Abwesenheit sichtbar werden, Pixel, die anmutig in seltsamen Choreographien tanzen, herumwuseln, eilig auf die andere Seite des Bildschirms wechseln oder in Kaskaden fallen, getragen von ihrem eigenen Gewicht. Ihre Bewegungen sind gerade deshalb so faszinierend, weil der Künstler ein Clinamen programmiert hat, das ihre Flugbahn sanft ablenkt und sie in ein scheinbar chaotisches, aber auch wunderbar synchronisiertes Verhalten führt. Ordnung und Chaos sind der Schlüssel zum Werk eines Künstlers, der die Pixel nicht “animiert”, sondern mit Hilfe eines Codes Situationen und Regeln schafft und das Programm dann von selbst ablaufen lässt. Als eine Reihe von performativen Ereignissen, die von Maschinen ausgeführt werden, schaffen die Kunstwerke Realitäten, die in Echtzeit vor unseren Augen existieren und die physischen, sozialen und informationellen Systeme widerspiegeln, von denen wir ein Teil sind.
Ein einzelnes Pixel, das an der Wand hängt, pulsiert in unregelmäßigen Abständen. Es versucht, seinen eigenen Quellcode mitzuteilen, sich selbst zu replizieren, wenn nicht als physische Entität oder Bildelement auf einem Bildschirm, so doch zumindest als Idee. Als Duchamp’sche Junggesellenmaschine scheitert sie an ihrer Aufgabe. Aber letztendlich fungiert sie als Spiegel der Person, die sie beobachtet, und erinnert uns daran, dass wir die Pixel in diesen endlosen Strömen sind. Und dass wir wiederum aus Atomen bestehen, die einmal, zum Glück, von ihrer Bahn abgewichen und miteinander kollidiert sind.
Pau Waelder, 2023