
- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
New Anatomies
19. März 2023 - 15. April 2023

Ottingers Werk in Beziehung stehen und eigene Perspektiven auf Identität, Geschlecht, Körperlichkeit und Begehren einbringen.
“I wish to escape from a crystallised identity,…”
Josephine de Collage (Yvonne Rainer) in „Madame X.
Eine absolute Herrscherin“, 1977
Abbilder von Helden wurden lange Zeit in Bronze gegossen, gerne auch auf ein Pferd gesetzt und auf einen Sockel gestellt, damit auch zukünftige Generationen die Taten dieser Männer erinnern. Einige dieser vermeintlichen Helden wurden von ihren Thronen gestoßen und zu Altmetall verarbeitet. Viele warten noch auf ihren Sturz. Was mit den frei gewordenen Podesten geschehen soll, wird diskutiert. Sollen wir dort unsere Heldinnen verewigen oder die Sockel demonstrativ unbesetzt lassen, um auf die ungeschriebenen Geschichten unbekannter Heldinnen aufmerksam zu machen?Selten findet sich eine Frau als Standbild verewigt, und wenn dann eher als liegende Muse, die nicht für ihre (heroischen) Taten sondern ihr schönes Sein bewundert wird. Während schon Heldinnen – im öffentlichen Raum wie auch in den Museen und Geschichtsbüchern – kaum sichtbar sind, sind non-binäre und trans-identitäre Figuren der Geschichte quasi unsichtbar. Auch für die Erinnerung an die kollektiven Bewegungen, denen wir Sichtbarkeit, Teilhabe und Freiheit in der Wahl von Partner*innen, Berufen und Identitäten zu verdanken haben, fehlt es an angemessener Repräsentation.
Denen, die wie wir in den 1980ern geboren wurden, erlaubten in den 1990ern vor allem Figuren der Popkultur einen Ausbruch aus der kleinstädtischen Identitätstristesse. Ein Vokabular zur Beschreibung unseres Anders-Seins hatten wir nicht. Wir gebrauchten Bilder von Körpern und Gesten zum Realitätsabgleich mit uns und unseren Spiegelbildern. Später stießen wir auf die Texte Judith Butlers, die uns bei aller intellektueller Überforderung doch ein Vokabular für unser Hadern mit beengenden Rollenbildern bereitstellten.Heute hat unsere Generation, sowie die, die vor und nach uns kamen, ein breiteres Repertoire an Bildern, Gesten und Vokabeln, welches uns erlaubt, selbstbewusst öffentliche Orte einzunehmen und alternative Lebensweisen mutiger und inspirierter zu entwerfen. Das schreiben wir im Wissen um die fragilen gesellschaftlichen Fortschritte und unsere eigenen Privilegien in Zeiten neo-faschistischer Bewegungen, die gerne am imaginierten „Gender-Wahnsinn“ den Verfall der Zivilisation festmachen.Die fotografische Arbeit „Geheimnis der Madame X“ von Ulrike Ottinger stellt Tabea Blumenschein als gedoppelte Heldin mit angespanntem Bizeps und schmückendem Brusthaar dar. Das Bild scheint uns wie die Nachricht in einer Flaschenpost; abgeschickt im Jahr 1977 und angekommen in der Gegenwart, um als Superheroin die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu verteidigen. Mit NEW ANATOMIES senden wir unsere eigene Flaschenpost. Die Beiträge dieser Ausstellung besetzen die leeren Podeste mit eigenen Narrativen, sezieren dabei tradierte Rollenbilder und entwickeln aus diesen Fragmenten alternative Figurationen von Material und Geschlecht.
Flo Maak und Sara-Lena Maierhofer