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VERHANDLUNGSMASSE. Luisa Catucci Gallery.
13. Oktober 2022 - 26. November 2022

Maike Freess hat immer wieder bewiesen, dass sie zweifelsohne eine Meisterin der Zeichnung ist. Ihre virtuose Zeichentechnik ist nicht nur reich an einer unerschöpflichen Quelle der Fantasie, sondern verbreitet eine angeborene, fast brutale Magnetkraft, die den Betrachter unfehlbar in ihr Universum katapultiert.
Maike Freess schafft dramatische Volumina, indem sie die Intensität ihrer feinen weißen Linien auf schwarzem Papier mit messerscharfen weißen Schnitten und kontrollierten Farbverläufen bricht. Sie gibt dem Papier grenzenlose Möglichkeiten und erhebt es von einem armen Material zu einem Verstärker von Emotionen, einem magischen Ort, an dem ihre dekonstruierte Realität lebendig wird.
In ihrem Zeichenprozess verwandeln sich die Motive, als würde etwas Verborgenes und Verdrängtes zum Vorschein kommen, etwas heimlich Erwünschtes, das Fiktion und Realität vermengt. Maike Freess’ Hand führt den Bleistift methodisch und klar, aber in den letzten Jahren spricht ihre Zeichnung immer abstrakter. Sie arbeitet an der Grenze zum Surrealismus, denn ihre Arbeiten erwecken den Eindruck, dass sie von einer Art poetischer Vision erzeugt werden. Das liegt daran, dass sich hinter ihren Figuren eine tiefe psychologische Arbeit verbirgt, wie ein Riss im Unterbewusstsein, in dem Erinnerung und Bewusstsein, Subjektives und Universelles ineinander übergehen.
In ihrer neuesten Werkserie stellt Maike Freess den Körper mit seiner unvollkommenen, begrenzten und instabilen Natur und seine Beziehung zur Psyche in den Mittelpunkt ihrer Forschung. Schon die alten Römer sagten: “Mens Sana In Corpore Sano”, um die unzerstörbare Verbindung zwischen der mechanischen Hülle des Menschen, dem Körper, und seiner flüssigen, transzendenten Ausdehnung, dem Geist, zu beschreiben. Die unvermeidliche Unvollkommenheit des Körpers weicht der Psyche in all ihren Aspekten, den spirituellen, humoralen und intellektuellen, genauso wie die Neigungen der Psyche den Körper beeinflussen. Der uralte Uroboro des menschlichen Zustands. In ihrer Arbeit konzentriert sich Maike Freess durch die Defragmentierung der Körperformen auf die Geburt der neuen Realität, die sie als eine Art künstliche Memoiren definiert, die aus der unvermeidlichen Verbindung zwischen diesem neu geformten “Corpore” und dem guten alten trickreichen “Mens” entstehen.
Die Schnitte in ihrer Arbeit stehen für den befleckten Verstand, die bewussten oder unbewussten Lücken im Gedächtnis und in der Psyche, die jenseits der Rationalität Unbehagen, Verleugnung und Miss-/Nichtverstehen erzeugen. In der Ausstellung überschreiten diese Wunden die begrenzten Grenzen des Kunstwerks/der Person/des Körpers und breiten sich über die Wände und den Boden aus, um ihre unerwartete und desorientierende Wirkung auch auf die Umgebung und die anderen zu unterstreichen, auch wenn dies nicht in der Absicht des Künstlers liegt. Darüber hinaus ist jedes Individuum sozialen und politischen Prozessen ausgesetzt, die auch psychologische Auswirkungen haben und zur Formung und Verformung des Körpers beitragen, der von der Künstlerin als Ort historischer Einschreibungen betrachtet wird. Maike Freess denkt tiefgründig über existenzielle Dilemmata nach und fragt sich, was einen Menschen zu einem Menschen macht, wie er sich als Mensch fühlt und wie der Einfluss des Geistes, der persönlichen Geschichte, der Umgebung und des politischen Wettbewerbs Gefühle und Handlungen bestimmen. Was wird aus der Menschlichkeit, wenn sie objektiviert und zum Verhandlungsobjekt wird? Eine Frage der Verhandlung.