Als sich die neuzeitliche Malerei nach prächtigen Jahrhunderten im Paris der 1920/1930er Jahre zum Sterben niederlegt, steht Francis Picabia (1879-1953) wie ein verlorener Sohn an ihrer Seite. Die Energie, mit der sein Künstlerfreund Duchamp folgenreich die Verurteilung des alten Metiers verlangt, verschwendet Picabia in gleichem Maße an dessen Wiederbelebung. Von seinem Frust als ehemaliger Dadaist angetrieben, verhilft er 1925 den Figuren von Tizian und Velázquez zur Aktualität in Gestalt der „Monster“, welche er provokant mit industrieller Lackfarbe behandelt. Damit immunisiert er seine Malerei – und auch weitere „bad paintings“ – gegen die Autorität des Geschmacksurteils seiner Zeit. Kurz darauf lockert er das erstickende Korsett des Stilbegriffs, indem er 1927 mit den „Transparencies“ auftritt.
Die durchscheinende Überlagerung mehrerer Figurenpläne öffnet den Bildraum der Malerei zum Musée imaginaire. Der eingefleischte Nietzscheaner sucht sein Metier darüber hinaus im Außermoralischen zu kurieren. Picabia lehrt uns beispielsweise, die Himmelskönigin aus der romanischen Portalplastik gleichgestellt mit dem Pinup-Akt aus einer Illustrierten wahrzunehmen. Der Nachkomme alten spanischen Adels hat auch sein Künstlerimage im Wettstreit mit Duchamp und mit dem anderen Spanier in Paris, mit Picasso ausgewählt. Während Duchamp die eigene Geistesaristokratie nach dem Vorbild eines verarmten Uradligen zelebriert, stellt sich Picabia im Bild eines nomadischen Playboys dar, der mit seinen Yachten an der Côte d’Azur vor Anker geht, wenn er nicht gerade im Sportwagen vorfährt.
Der schwindelerregend hohe Intelligenzquotient beider Künstlerfreunde bricht sich im Eros, welchen Duchamp als Transvestit zu seinem Motto macht. Der Beau Picabia hingegen ist dem chercher la femme derart ergeben, dass ihm Gabrielle Buffet, seine erste Gattin, einen Mutterkomplex unterstellt. Jede der zahlreichen intellektuellen Facetten seiner Kunst reflektiert die weibliche Figur. Sie ist das Hauptmotiv dieses Œuvre. Die vorgestellte Auswahl von 1925- 1950 ertastet den Puls der Malerei, der in „Picabias Frauen“ überlebensfähig schlägt.
Picabias Frauen
27.04.2024 – 22.06.2024