Eine vertane Chance – oder: Was muss Theater leisten?

vertane Chance, Kunstleben Berlin

Vor ein paar Tagen war ich seit langer Zeit mal wieder im Theater. „Germania“ unter der Regie von Claudia Bauer, gespielt an der Volksbühne, interessierte mich – verbindet es doch zwei Theaterstücke von Heiner Müller: Germania Tod in Berlin, uraufgeführt 1978 in München und Germania 3 Gespenster am toten Mann, uraufgeführt 1996 in Bochum.

Ich war wirklich gespannt, denn eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und mit der Frage, wie es mit Deutschland weitergeht, ruft ja geradezu nach einer künstlerischen Form. „Ich will schon seit langem ein Stück schreiben, das in Stalingrad anfängt und mit dem Fall der Mauer aufhört, wenn man das erst mal als Schema nimmt.“, schrieb Heiner Müller in „Geist, Macht, Kastration“ 1992. Sich an eine Verbindung der Stücke heranzuwagen, versprach Neues. Überhaupt ist es gerade in dieser Zeit, in der wieder viel Braun an die Oberfläche gespült wird, eine gute Idee, denn Geschichtsaufarbeitung schützt vor Wiederholung.

Was jedoch an diesem Abend über mich rollte, mag sich Theater nennen, war aber für mich und einige andere im Saal nichts als ein emotionsleerer, dafür aber vollkommen überzeichneter, lauter, überbordender und schriller Klamauk. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich Theater jemals so genervt hat. Noch Stunden danach hörte ich die grellen Stimmen in meinem inneren Ohr schreien. Nichts, was mich mitgenommen, nichts, was mich abgeholt hat. Stattdessen Pimmelwitze, ein nackter Arsch, Kacke an Wänden und masturbierende Männer und die Frage, warum modernes Theater scheinbar nicht mehr ohne Fäkalien, Nacktheit und Vulgärgehabe auskommt.

Provokant soll es sein, aufrütteln, im Gedächtnis bleiben. Das ist passiert, ich denke auch heute, vier Tage danach noch an das Stück. Aber auf eine andere Art, als ich es mir wünschen würde. Nicht das Thema steht im Mittelpunkt meiner Gedanken, sondern der schräge Ton und die Comic-Bilder.

Aber muss Theater, muss Kunst gefallen, damit sie gut ist? Damit sie etwas bewirkt? Muss sie etwas bewirken? Oder ist mein persönlicher Anspruch als Zuschauerin überzogen, dass ich nicht nur etwas erzählt bekommen, sondern auch angeregt werden will, über bestimmte Sachverhalte nachzudenken?

Theater ist Kommunikation. Im besten Fall zwischen Darstellern und Publikum. Wenn es um sich selbst kreist, bleiben vielleicht ein paar Bilder hängen. Die Chance, in Interaktion zu gehen, etwas in mir zu berühren, mich auf eine Reise mitzunehmen, die auch schrecklich und unangenehm sein kann und muss, weil unsere Geschichte es war und zu Teilen auch heute noch ist, die wurde bei diesem Stück mit all dem Slapstick vertan. Kübelweise groteske Szenen lassen die eigentliche Botschaft untergehen. Sie werden auch jene nicht erreichen, die sich heute in Geschichtsverklärung suhlen. Das ist schade, denn genau an dieser Stelle bräuchten wir die Kunst dringender denn je.

https://www.volksbuehne.berlin/de/programm/8707/germania/9344

Veröffentlicht am: 16.11.2019 | Kategorie: Kolumne Jeannette Hagen, Kultur - was sonst noch passiert, Redaktion-Tipp,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert