Ein kleiner Anstoß

kleiner Anstoss, Jeannette Hagen für Kunstleben Berlin

Der Berliner Autor Maxim Leo hat vor ein paar Tagen auf seiner Facebookseite in einem Post erzählt, wie er das erste Mal von Menschen mit Maske geträumt hat. Der Traum inspirierte ihn zu einem fast melancholischen, aber unglaublich schönen Gedankenfluss, der am Ende zu der Frage führte, wie er sich denn verhalten wird, wenn Corona vorbei ist. Folgt dann der Exzess, das große Fressen, die big big Sause, die alle herbeisehnen? Für ihn wohl nicht, denn er kann sich ja kaum noch vorstellen, wieder dort einzusteigen, wo er vor Corona war, zum Beispiel zusammen mit vielen Hundert Menschen in einer Oper zu sitzen. Der Rückgewöhnungseffekt wird also seiner Ansicht nach mindestens genauso lange dauern, wie es gedauert hat, bis die Realität der Masken in seinen Träumen aufgetaucht ist.

Aber wollen wir zurück?

Abgesehen davon, dass dieses kleine Textstück unglaublich gut geschrieben ist, hat es mich persönlich an einem Punkt abgeholt, der mich schon länger bewegt. Während meine Tage oder Abende vor Corona mit Kultur, Festen, Verabredungen und Kunst gefüllt waren, folgt meine Aufmerksamkeit nun einem anderen Pfad. Ich nehme meine Umwelt anders wahr, genieße Natur noch einmal mehr, räume Nahrung einen neuen Stellenwert ein und finde Gefallen daran, mir Lesungen oder Theaterstücke im Stream anzuschauen. Kunst hat für mich eine neue Bedeutung erlangt. Ich entdecke sie plötzlich dort, wo ich sie sonst nicht oder nur beiläufig gesehen habe.

Ein kleines Beispiel. In Leipzig gibt es eine Pralinen- und Schokoladen-Manufaktur. Als ich das letzte Mal in Leipzig war, hatte sie geschlossen, aber es gibt ja eine Internetseite, auf der man sich die Waren anschauen kann. Und allein das ist ein Genuss. Diese kleinen Kunstwerke anzuschauen, versetzt mich schon in Verzückung, sie zu essen, ist dann fast schon Nebensache. Das mag vielleicht banal klingen, aber ich glaube, dass auch eine große Chance in dem Zustand steckt, den wir jetzt gerade erleben. Wenn wir wieder anfangen, kreatives oder künstlerisches Können und Handwerk oder auch die Natur nicht nur als Ware zu betrachten, sondern zunächst einmal als etwas, das jemand mit viel Sorgfalt und Liebe gemacht hat oder als etwas, das im Falle der Natur als Geschenk in dieser unglaublichen Vielfalt für uns einfach so da ist, dann entsteht eine neue Verbindung. Hast Du die Schneeflocken gesehen? Den Raureif, der über den Bäumen und Sträuchern lag und unsere Stadt verzaubert hat? Den roten Himmel am ersten Abend, als die Sonne nach vielen bewölkten Tagen wieder zu sehen war?

Ist das neu?

Das, was ich hier schreibe, ist nichts Neues, es ist kein Geheimnis, auch keine Raketenwissenschaft, aber ich habe den Eindruck, dass es uns in den letzten Jahren ein bisschen verloren gegangen ist. Wenn ich mein kulturelles und kunstvolles Leben vor der Pandemie betrachte, dann war vieles davon in der Masse auch nichts anderes als purer Konsum. Und der hinterlässt eben oft einen schalen Nachgeschmack.

Also zurück zur Verbindung. Zu dem, was uns wirklich berührt. Das wird nicht der Exzess, nicht die Sause sein. Ich wünsche mir, dass wir ein bisschen Bewusstheit in die Post-Corona-Zeit retten. Dass wir wieder eine Stufe runterfahren uns lieber verbinden, statt anzuhäufen oder zu verschlingen. Wir werden genau das brauchen, um den Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu begegnen. Manchmal braucht es nur einen kleinen Anstoß, um sich dessen bewusst zu werden. Danke, Maxim Leo.

Und wer die leckeren Pralinen probieren oder vielleicht auch nur anschauen möchte: www.goldhelm-schokolade.de

Veröffentlicht am: 18.02.2021 | Kategorie: Kolumne Jeannette Hagen, Redaktion-Tipp,

Eine Meinung zu “Ein kleiner Anstoß

  1. Michael Otto sagt:

    Wichtig Jeanette, sehr wichtig. Vielen Dank für deine Worte. Mal sehen ob ein klein wenig davon in Erfüllung geht. Verbindungen aufbauen und meine Botschaften vermitteln, geht auch ganz gut. Mein Thema ist re-use-art. Und mein Story-Teller ist Bubi MO. auf @mo-reuseart zeigt er die Rückseiten meiner Werke.

    „Was uns wirklich berührt“ wieder wirken lassen, dafür Zeit bereitstellen. Ist einfach.

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