DRAWN FROM MEMORY – Matthew Eguavoen, Jammie Holmes, Jerrell Gibbs, Shaina McCoy

DRAWN FROM MEMORY - Matthew Eguavoen, Jammie Holmes, Jerrell Gibbs, Shaina McCoy

Wie individuell sind Erinnerungen? Aber vor allem, wie kollektiv nachvollziehbar werden sie, wenn wir uns gegenseitig Bilder unserer Erinnerungen zeigen? Wie lassen sich diese Erinnerungsbilder malen und welche Formen nehmen sie an, wenn persönliche, politische oder gesellschaftliche Konflikte Teil der Erinnerung sind? Die Annäherungen an diese Fragen in den Portraits von Matthew Eguavoen, Jammie Holmes, Jerrell Gibbs und Shaina McCoy unterscheiden sich in ihren malerischen Sprachen ebenso wie in der Wahl der Motive, Hintergründe und Symbole, haben aber in jeweiligen Foto- und Gedächtnisarchiven der Künstler:innen einen ähnlichen Ursprungscharakter. Die gezeigten Werke kreisen um Fragmente gelebter Geschichte, um intime wie kollektive Erfahrungen, um Identität, Zugehörigkeit und Erinnerung als wandelbare Konstruktion zwischen Dokument und Projektion.

Mal melancholisch und verträumt, den Blick im Dreiviertelprofil aus dem Bildraum heraus schweifend, mal mit fest entschlossener Miene und frontalem, man mag fast sagen, direktem Blickkontakt, sind Matthew Eguavoens Portraits geprägt von Ausdruckskraft und Emotionalität. Großflächig machen intensive Farben den förmlich reduzierten Hintergrund aus, vor dem es umso mehr die Körperhaltungen, die Hand- und Fingerbewegungen und die Gesichtsausdrücke sind, welche uns ein Stimmungsbild vermitteln, uns den Gemütszustand der Portraitierten erahnen lassen. Mit feinem Gespür bringt der Künstler so Nuancen emotionalen Ausdrucks auf die Leinwand und behandelt gesellschaftlich und politisch relevante Themen wie Geschlechterungleichheit, physische Gesundheit oder Folgen struktureller Ungleichbehandlung. Diese Auseinandersetzungen führt Eguavoen außerhalb seiner einfühlsamen Bildsprache auch in den Namensgebungen seiner Werke fort und verweist mit Titeln wie „The life I was promised back home isn’t what I met here“ (2024) oder „If I see work I go do“ (2024) auf prekäre Lebensumstände und Erfahrungen der Menschen in Nigeria hin.

Autodidakt Jammie Holmes beschäftigt sich in seiner Praxis mit sozialen, kulturellen und politischen Realitäten Schwarzen Lebens im Süden der USA. Seine Arbeiten speisen sich aus einem Bildrepertoire eigener und geteilter Erinnerungen und Erfahrungen und bewegen sich oft zwischen Realismus und Surrealismus, zwischen Portraitmalerei und Symbolismus. Deutlich wird dies in der Arbeit „The Gambler“ (2024). Auf einem Tisch, an dem ein grauhaariger Mann sitzt und mit ernster Miene in Richtung seines Gegenübers schaut, steht ein stolz aufgerichteter Hahn. Zwar sind die Köpfe der gemalten Akteure beide der Bildmitte zugewandt, ob sie sich wirklich sehen, ob sie sich überhaupt im selben Realitätsraum befinden, ist dennoch unklar. Auf vorderster Bildebene wirkt das Tier dem Menschen vorgelagert, ist es mehr Symbol als tatsächliches Gegenüber des Portraitierten? Geht es um das Spiel mit dem Glück? Spielt der Gambler um den Hahn, setzt er ihn im Spiel ein, verkörpert das Tier den Gegner? Oder bedient sich Holmes der griechisch-antiken Bedeutungszuschreibung des Hahns als Symbol der Wachsamkeit, der siegreichen Kriegsführung und der männlichen Vitalität?

Behält man diesen letzten Anhaltspunkt der Vitalität im Hinterkopf, findet man in der Betrachtung der zweiten gezeigten Holmes-Arbeit schnell Parallelen. In einer noch stärker auf ausschließlich Braun-, Schwarz- und Weißtöne reduzierten Farbpalette und in einem weniger realistischen Setting ragt der Kopf eines jungen Mannes aus einem blütenähnlichen, weißen Kragen hinaus. Der umgebende Bildraum ist von einem in sich verschlungenen Pflanzengebilde aus Stängeln, Blättern und geschlossenen wie geöffneten Lilienblüten gefüllt. Kragen und Blüte sehen sich zum Verwechseln ähnlich und lassen die Grenzen der eindeutigen Zuordbarkeit verschwimmen. Steigt der Kopf des jungen Mannes aus der Lilie empor, weil ihre Blüte förmlich der Gestalt eines ausladenden Kragens ähnelt oder verweist Holmes mit seiner Blumenwahl auf das Lilien-Symbolbild der Reinheit, Schönheit und Vollkommenheit und mit der Gegenüberstellung der Arbeiten auf eine Gegenüberstellung von jung und alt, von Freiheit und Belastung?

Als würde man im Leben der Portraitierten rückwärts reisen, scheint die Tänzerin in Jerrell Gibbs’ „With grace“ (2025) nochmals jünger zu sein als Holmes’ jugendlicher Charakter. Licht auf Gesicht und erhobenen Händen fängt die Bewegung der jungen Ballerina ein, deren Körper Gibbs farblich ansonsten fast gänzlich mit dem dunklen Hintergrund verschmelzen lässt. Sie scheint in ihren Tanz vertieft zu sein, ist sich der Beobachtung nicht bewusst und die gemalte Momentaufnahme wirkt wie ein spontaner Schnappschuss, wie das Festhalten eines Moments zwischen dem Jetzt und der Erinnerung. Diese Verbindung aus flüchtiger Geste und atmosphärischer Tiefe durchzieht auch Gibbs’ übriges Werk. Oft ausgehend von privaten Archivfotos entwickelt er autobiografisch aufgeladene Szenen, die Themen wie Schwarze Männlichkeit, Vaterschaft, Fürsorge, Zugehörigkeit und Alltagsintimität verhandeln und stereotype Darstellungen hinterfragen und neu besetzen.

Mit intensivem Farbauftrag und gezielt gesetzten Pinselstrichen schafft Shaina McCoy es, ihren Portraitierten auch ohne ausformulierte Gesichtszüge Persönlichkeit und Ausdruck zu verleihen. In überlebensgroßen Formaten und vor simplen, reduzierten Hintergründen, entspringen diese gesichtslosen Charaktere ebenso dem Bildergedächtnis und Fotoarchiv der Künstlerin, wie sie Projektionsfläche für eigene Erinnerungen und Zuschreibungen der Betrachtenden sein können. Sie zeigen intime Momente des Familienlebens, halten Stationen des Heranwachsens der Künstlerin oder der Personen aus ihrem Umfeld fest und spiegeln dabei individuelle Erlebnisse, wie gleichermaßen kollektiv erlebte Erfahrungen wider, wie beispielsweise dem Fototermin in der Schule oder im Fotostudio. Alles an dem in der Ausstellung gezeigten Werk „Jojo in his Yankees“ (2024) erinnert an ein solches Setting: Der Stuhl, auf dem das Kleinkind sitzt und an dessen Lehne es sich festhält, der unverkennbare, mit weich ineinander verlaufenden Farbflächen bedruckte Backdrop und der kaum merkbar geneigte, leicht gedrehte Kopf. McCoy rekonstruiert Fragmente ihrer persönlichen Vergangenheit, lädt Betrachtende ein, sich selbst in diesen vertrauten Szenen wiederzufinden und lässt Grenzen zwischen individueller Erinnerung und kollektiver Erfahrung verschwimmen.

DRAWN FROM MEMORY

11. Juli – 31. Juli 2025

Bode Galerie

Veröffentlicht am: 23.07.2025 | Kategorie: Ausstellungen, Kultur, Kunst,

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