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sleep over im Studio Hanniball.

20. Januar 2024

Literarischer Beitrag zur Ausstellung von Olga Hohmann:

Jede Nacht wacht sie auf, immer nach genau vier Stunden, mit einem Aufschrei, der sowohl ein Schrei der Lust als auch einer der Angst sein könnte, schweißgebadet. Ihre nasse Oberfläche trocknet, die Gedanken kreisen – es sind nie gute. Nichts, was zwischen vier und sechs Uhr morgens gedacht wird, sollte Einfluss auf die Entscheidungen am Tag haben, hatte ihr Freund P. mal gesagt. Manchmal hört sie ihren eigenen Herzschlag so lange zu, bis er aus dem Takt gerät. Arrhythmien entstehen in der engmaschigen Selbstbeobachtung, man ist seinem Monster ein kleines bisschen zu nah, eine selbsterfüllende Prophezeiung. Sie liegt hellwach auf dem Rücken und kann sich nicht bewegen. Sie fühlt sich, als wäre sie eine Riesin, ihre gigantischen Pranken ruhen auf dem winzigen Bettgestell neben ihrem riesenhaften Leib. Sie weiß nicht, ob Stunden vergehen oder Minuten. Sie versucht zu sprechen – aus ihrem Mund kommt kein Ton. Sie denkt an den Begriff Two-Faced, sie erlebt ihn in aller Buchstäblichkeit. Es kommt ihr vor, als würde ein zweites Gesicht sich von ihrem anderen, ersten Gesicht ablösen, an die Zimmerdecke fliegen und ihren Körper von oben betrachten. Um wieder einzuschlafen, verdreht sie die Augen, rollt sie weit zurück in die Augenhöhlen. Sie hat nun das Gefühl, schemenhaft durch ihre halb-transparenten Lider sehen zu können. Wenn sie nach oben schaut, ist das ein fast spirituelles Gefühl, als wäre sie einer höheren, irgendwie göttlichen Macht ganz nah. Sie atmet vier Sekunden lang ein, dann hält sie vier Sekunden lang die Luft an und atmet dann wieder acht Sekunden lang aus. Sie wiederholt diesen Vorgang viele Male. Irgendwann spürt sie, wie ihr vegetatives Nervensystem zur Ruhe kommt, sie kehrt zurück in ihren Körper, Gesicht auf Gesicht, fast sieht sie noch, wie ein Schatten (ihre Seele?) zurück in den leeren Anzug aus Haut und Fleisch in ihrem Bett schlüpft, dann nickt sie langsam ein. Dass sie nun fast schläft, merkt sie daran, dass ihre Gedanken plötzlich nicht mehr linear verlaufen, sondern Haken schlagen, assoziative Täuschungsmanöver, wie ein Hase auf der Flucht. Ungefähr so: Sie denkt an das weiche Fell des beigen Hasen mit den langen Löffeln, aber: Was macht der aggressiv krähende Hahn plötzlich in ihrem Traum, einen Hahnenkampf? Ist es der Wecker? Wessen Hände strecken sich zu ihr aus? Sie tragen an jedem Ring einen Finger? Das heißt – an jedem Finger einen Ring. Oder doch andersherum? Die Bilder steigen spiralförmig auf, Sätze werden nicht mehr zu Ende ge-

Vor dem Schlafen gehen hat sie einen „Schlafstern” genommen, sie nimmt jeden Abend einen. Einmal fragt ein Liebhaber-für-eine-Nacht: Kann ich auch einen haben?
Sie schlafen beide ein, bevor, wie man sagt, etwas passiert.

Sleep Over, das klingt wie Upper East Side Teenager mit Loft Wohnungen, Bellinis und Mani Pedi für alle. Nach Jugendlichen in Einteilern mit Füßen dran, wie riesige Säuglinge. Es klingt nach ganzen Tüten Süßigkeiten, die vor dem Fernseher verzehrt werden. Nach Gossip. Vielleicht schon nach Alkopops, oder doch noch Rom Coms? Nach lästernden Kids in Pastellfarben. Nach Flaschendrehen in todernst – nach dem Flaschen drehen kann die Welt eine andere sein als zuvor, je nachdem wie ereignishaft das Spiel ausgefallen ist, wen man küssen musste oder nicht küssen durfte. Es klingt auch nach dem ersten Heimweh, obwohl man nur eine Straßenecke von Zuhause entfernt ist, das erste Mal in einer fremden Familie, die ihre eigenen, sich leicht unterscheidenden Alltagsrituale hat, in den feinen Unterschieden wohnt der Horror. Es klingt auch nach Sleep is over: Nach dem Klingeln des Weckers. Noch fünf Minuten! schreit man das Elternteil an, nachdem es einem die Bettdecke weggezogen hat. Der Morgen beginnt mit plötzlicher Eiseskälte, mit ruckartig unterbrochener Bettwärme, mit Aggression – ein Schock, ein Ereignis. Das erste Trauma des Kindes ist die Geburt, heißt es in der Psychoanalyse – Kaiserschnittkindern wird die weiche, nasse Bettdecke weggezogen, die so angenehm begrenzte Welt, die schon ein bisschen eng geworden war, welcome to reality. Sleep over heißt aber auch: Schlaf eine Nacht drüber, morgen ist ein neuer Tag. Eine beschwichtigende Formel. Und eigentlich sieht „die Welt” fast nie „so ganz anders aus”, nur weil man bewusst sechs bis acht Stunden lang das Bewusstsein verloren hat, weil man ausgecheckt hat, sich auf der Seite des Unbewussten aufgehalten hat. Vor allem nicht dann, wenn man zwischen vier und sechs Uhr die falschen Gedanken denken musste, kreisend, a downward spiral.

Sleep is over! schreit die weggezogene Bettdecke.
Noch fünf Minuten! schreit man zurück, es ist der erste Schrei des Kindes (am Morgen) – eine Wiederholung des Traumas der Geburt.

Details

Datum:
20. Januar 2024
Veranstaltungskategorien:
,
Eintritt: freier Eintritt €

Angebote:

Studio Hanniball
Pappelallee 15
10437 Berlin
Prenzlauer Berg

How to find us: Back building, 2nd floor


Veranstaltungsort

STUDIO HANNIBALL
Pappelallee 15
Berlin, 10437
+ Google Karte

Veröffentlicht am: 12.01.2024 |

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