„Aurig“. Jener Neologismus, der sich aus dem Wort „Aura“ ableitet, taucht erstmals in Clemens J. Setz’ Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre auf und beschreibt gleichzeitig wunderbar treffend Meisels fotografische und skulpturale Arbeiten ihrer Einzelausstellung non sequitur.
Meisels Werke beschreiben zeitleere, aus ihrem Kontext gelöste Objekte und Landschaften, surreale, traumartige Szenerien, die einem dystopischen Science-Fiction Film entsprungen sein könnten.
Beunruhigend nah und trotzdem fernab scheinen die Motive ihrer fotografischen Arbeiten man kann sich die welt ansehen I-II, vulcano sand collages I-VI und vulcano smoke I-III. Die beiden letzteren Serien sind vergrößerte Lochkameraabzüge, die mit geriebenem Vulkanstein bearbeitet wurden – Formen und Perspektiven wurden zertrümmert und neu zusammengesetzt und kreieren eine fortwährend bedrohliche, gleichzeitig faszinierende Atmosphäre.
Tatsächlich war Setz’ Roman die Initialzündung für Meisels Arbeit: Die Protagonistin des Romans hat eine Vorliebe für die sogenannte „Nonseq“- Kommunikation, deren Dialoge auf Bahnen freier Assoziation beruhen, in der nicht eines aus dem anderen hervorgeht. Meisels Arbeiten der Ausstellung non sequitur können ebenso als Assoziativ-Kette gelesen werden: Zusammenhänge lassen sich nicht unmittelbar auf den ersten Blick erschließen, sind aber dennoch präsent und in sich stimmig – eine poetische Aneinanderreihung von Erlebnissen, Zuständen und deren Symbolen, die – sofern man sich darauf einlässt – eine hermeneutische Aufgabe stellen und einen Schritt ins eigene Unbewusstsein bedeuten können.
Meisels assoziatives Vorgehen gleicht der écriture automatique der Zürcher Dadaisten und Surrealisten. André Breton beschreibt jene Praktik als „…fließenden Monolog, über den der kritische Verstand des Subjekts kein Urteil fällt, der sich infolgedessen keinerlei Verschweigung auferlegt und genauso wie gesprochenes Denken ist“. So dient Meisels „Nonseq“- Prozess als Befreiung: Erst durch das Ablösen von jeglicher Wirklichkeitsreferenz kann man seine eigene Welt erfinden; Sinnfragen spielen dabei keine Rolle.
Auch im Entstehungsprozess einzelner Arbeiten spiegelt sich Meisels Vorgehen: Nach Festlegung der Rahmenbedingungen in einen rezeptiven Zustand versetzt, lässt Meisel das nicht-kontrollieren Können bestimmter Gegebenheiten bewusst zu – und damit das Unterbewusstsein Prozess und Ergebnis richtungsgebend definieren. Entstanden im Prozess und über den Prozess hinaus miteinander verbunden, setzen sich Meisels Arbeiten über bewusste Wahrnehmung und Materialität hinweg, eröffnen in einem installativen Parcours eine unendliche Fülle von Deutungsmöglichkeiten und beinhalten gleichzeitig – sollte man sich der hermeneutischen Möglichkeiten für einen Moment entziehen wollen – eine bemerkenswert ausbalancierte dennoch spannungsgeladene Ästhetik.
non sequitur
24.06. – 13.08.2016
Galerie Burster
Kurfürstendamm 213
10719 Berlin