Kunstleben Berlin Kolumne von Jeannette Hagen. Derzeit gibt es in Berlin gleich zwei Ausstellungen, die die Berliner Stadtarchitektur der 70-er Jahre ins Blickfeld rücken. Im Basement Berlin zeigt der Fachbereich Kultur des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf unter der Kuration von Oliver Möst „Wir bauen eine Stadt“ und in der Berlinischen Galerie ist noch bis zum 18. September „Suddenly Wonderfull“ zu besichtigen.
Wir bauen eine Stadt – zeitgenössische Positionen zur Architektur im Zeichnen der Mauer – Basement Berlin
Beginnen wir mit „Wir bauen eine Stadt – zeitgenössische Positionen zur Architektur im Zeichnen der Mauer“. Es ist nach „Hier und Jetzt“ und „ZOBRA – Der Blick auf Tiere“ die dritte Ausstellung, die Oliver Möst realisiert und wie bei den beiden vorangegangenen gelingt ihm wieder das Kunststück, auf engem Raum viel zu zeigen, Bezüge von innen nach außen herzustellen und damit ein interessiertes Publikum anzulocken. Selbstverständlich ist Letzteres nicht – liegt das Basement doch sehr versteckt am Fuße des Europa-Centers und vis-a-vis des unteren Teiles des Weltkugelbrunnens.
Anders als „Suddenly Wonderfull“ beschränkt sich „Wir bauen eine Stadt“ nicht auf die Großbauten im ehemaligen Westberlin zu Zeiten des Kalten Krieges, sondern erweitert die Perspektive und spannt einen Bogen über die gesamte Stadt. Fassadenelemente, Fotografien, Malerei, ein geknüpfter Wandteppich – die Ausstellungsstücke zeigen die Vielfalt der Stadt und fangen den Zeitgeist der unterschiedlichen Vorstellungen von Leben, Wohnen und Zukunft ein. Wobei Zukunft oft im wörtlich genommenen englischen FUTURE futuristisch anmutet. Man hatte eben Träume – hier und drüben.
Aber was passiert an Orten? Und wie kann die zeitgenössische Kunst an diese Orte anknüpfen? Möst sagt: „Oft ergeben sich Dinge und Zusammenhänge, die ein Publikum ansprechen, weil sie merken, dass das, was gezeigt wird, mit der eigenen Geschichte zu tun hat.“ Dem kann ich nur zustimmen. Wer so wie ich in Ostberlin aufgewachsen ist, wird die Fassadenelemente des ehemaligen Centrum Warenhaus vom Alexanderplatz (Arbeit von Hans Martin Sewcz) sofort erkennen und vermutlich mit einigen Erinnerungen verknüpfen. Und so ergeht es den Besucher*innen eigentlich bei allem, was in der Ausstellung gezeigt wird, inklusive der Erfahrung, dass Einiges verschwunden ist oder sich verändert hat.
„Die wabenartige Aluminiumfassade des Centrum Warenhauses ist ein Sinnbild für die Fassadengestaltung in den 1970er Jahren geworden. Diese Fassaden, die von Metallarbeitern wie Fritz Kühn entworfen wurden, weisen enge Bezüge zu byzantinischen Mustern auf. In ihren Werken „Ana Poli“ greift Patricia Westerholz diese Art von Relief auf und spielt mit dessen Zwei- und Dreidimensionalität.“
Nach dem Mauerbau gab es auf beiden Seiten der Mauer einen regelrechten Bauboom, es wurden „Fakten geschaffen“, wie Oliver Möst sagt. Und damit beschäftigen sich Künstler*innen bis heute. Diese Auseinandersetzungen passen gut in ein Haus, das das erste Einkaufszentrum dieser Art in Westberlin war und auf dem sich als Zeichen des Kapitalismus der Mercedes-Stern drehte.
Für Interessierte gibt es Künstler*innen Gespräche am Donnerstag, den 31.08. um 19 Uhr sowie am Samstag, den 30.09. um 18 Uhr mit anschliessender Finissage.
Zukunftsideen für Westberliner Großbauten der 1970er Jahre – Berlinische Galerie
Futuristisch geht es weiter, denn „Suddenly Wonderfull“ spielt mit „Zukunftsideen für Westberliner Großbauten der 1970er Jahre“. Auch dieser Ausstellungsort ist gut gewählt – die Großzügigkeit der Berlinischen Galerie lässt den Großbaufantasien viel Raum.
Ikonenhaft wollte man bauen, zukunftsfähig sollte die Stadt sein. Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wie man im ehemaligen Westberlin nach Krieg, Luftbrücke und Teilung den Zukunftsglauben buchstäblich in Beton gießen wollte. Herausgekommen sind brutalistische Gesamtkunstwerke, die – auch wenn heute niemand mehr etwas damit anzufangen weiß – eine unbeschreibliche Faszination ausüben. Aber auch Abscheu und Verwunderung – Elemente, mit denen die Ausstellung spielt.
„Während des Kalten Krieges wurden in West-Berlin bemerkenswerte Großbauten als neue Standorte für Wissenschaft, Bildung und Kultur errichtet. Hierzu gehören das Internationale Congress Centrum (ICC Berlin, 1973–1979) – auch bekannt als „Panzerkreuzer Charlottenburg“ –, das ehemalige Institut für Hygiene und Mikrobiologie (1969–1974) und die ehemaligen Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin in Lichterfelde („Mäusebunker“, 1971–1981) sowie der Steglitzer „Bierpinsel“. Nicht nur aufgrund ihrer Größe sind diese Gebäude prägende Setzungen im Stadtraum, deren Popularität sich auch in den Spitznamen von Berliner*innen niederschlägt.“
Sowohl „Wir bauen eine Stadt“ als auch „Suddenly Wonderfull“ thematisieren – die eine Ausstellung eher leise, die andere eindringlicher – die Frage, wie wir mit dem kultur-historischen Architekturerbe umgehen wollen. Paläste abzureißen, um Schlösser zu bauen, sollte keine Option mehr sein.
https://berlinischegalerie.de/suddenly-wonderful/
https://www.basement-berlin.online
Beitragsbild: M.ICC Mobility Innovation Congress Center, 2019 © GRAFT GmbH