Nachlass Georg Kolbes: sensationeller Fund in Kanada

Nachlass Georg Kolbes: Blick auf Kalender GKM

Nachlass Georg Kolbes: 108 große Umzugskartons, die einen sensationellen kunsthistorischen Schatz enthalten, erreichten das Georg Kolbe Museum

Im vergangenen Jahr verstarb Georg Kolbes Enkelin, Maria von Tiesenhausen, 90-jährig in Kanada, wo sie seit 1950 lebte und seit etwa fünf Jahren in Kontakt mit der Museumsdirektorin des Georg Kolbe Museums, Dr. Julia Wallner, stand. In ihrem Nachlass befand sich ein entscheidender und bisher vollkommen unbekannter Teil des Nachlasses von Georg Kolbe (1877-1947), der nun ans Museum gelangte. Es handelt sich um über 3.000 Briefe von und an Georg Kolbe, Notizhefte und Taschenkalender aus den Jahren 1933-47, 50 Fotoalben, über 3.000 historische Fotografien sowie mehr als 100 originale Zeichnungen, Aquarelle und Skulpturen des Bildhauers.

Zum Bestand gehören Korrespondenzen mit den Protagonisten des Kunsthandels aus der Zwischenkriegszeit (u.a. unbekannte Briefe von Alfred Flechtheim oder der Galerie Vömel), die vertieften Aufschluss über die Kunstmarktpolitik dieser Jahre geben werden. Des Weiteren finden sich die umfangreichen privaten Korrespondenzen zwischen Kolbe und seiner Frau Benjamine sowie mit seinem Bruder Rudolf, der als Architekt in Dresden beschäftigt war. Zahlreiche Briefe von Künstlerkolleg*innen (u.a. Max Pechstein, Else Lasker-Schüler) und Korrespondenzen mit Institutionen (u.a. Städel Frankfurt), Sammler*innen (u.a. Rockefeller, New York) und bedeutenden Kunsthistoriker*innen bereichern den komplexen Bestand.

Nachlass Georg Kolbes in zwei Akten:
Der Bildhauer Georg Kolbe (1877-1947) gehört zu den bedeutendsten Künstlern in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Testamentarisch verfügte er, dass sein dokumentarischer und künstlerischer Nachlass sowie sein Atelierhaus von einer Stiftung verwaltet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das 1950 im vormaligen Atelier des Künstlers eröffnete Georg Kolbe Museum folgt diesem Wunsch im Rahmen von Ausstellungen, Publikationen sowie der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Der bisher dem Museum fehlende Teil des Nachlasses ist von Maria von Tiesenhausen im Laufe der 1970er-Jahre nach Vancouver, Kanada, verbracht worden, wo sie seit 1950 lebte.
Von Tiesenhausen leitete von 1969 bis 1978 das Museum und erarbeitete eine Edition ausgewählter Briefe des Künstlers (erschienen 1987). Erst nach ihrem Ableben 2019 und einer Sichtung ihres Nachlasses zeigte sich die ungeheure Menge an Dokumenten und Werken des Künstlers, die sich bei ihr in Vancouver befunden hatten, rechtmäßig jedoch der Georg Kolbe Stiftung gehören. Mit Überführung nach Deutschland wird der Nachlass erstmals seit über 50 Jahren wieder vollständig sein.

Die Bedeutung Kolbes Nachlassfundes:
Kolbe gehörte zu den wichtigsten Persönlichkeiten der deutschen Kunstszene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine künstlerische Auffassung des menschlichen Körpers hat die Bildhauerei in Deutschland maßgeblich verändert. Beeinflusst von Auguste Rodin, dem
modernen Ausdruckstanz und nicht zuletzt durch Friedrich Nietzsche lässt er sich als moderner Künstler par excellence verstehen, der in den Gremien der Kunstinstitutionen aktiv war und sich erfolgreich vermarktete. Eine erste Sichtung des Nachlasses in Vancouver brachte bereits zahlreiche Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus zum Vorschein. Georg Kolbe wird von Teilen der Forschung bis heute als ambivalente Figur dieser Zeit wahrgenommen. Die bisher bekannten Materialien konnten jedoch nur bedingt Aufschluss über sein Handeln in diesen Jahren geben. Die neuen Funde werden nun endlich ein deutlicheres Bild des Künstlers im Nationalsozialismus zeichnen lassen. Die Dokumente ermöglichen sein
kunstpolitisches Engagement und erfolgreiches Agieren auf dem Kunstmarkt deutlich zu präzisieren und erlauben dadurch neuen Aufschluss auf grundsätzliche Funktionsweisen dieser bedeutsamen kunsthistorischen Bereiche. Die Untersuchung des Nachlasses Kolbes vertieft und eröffnet neue Forschungsfelder der modernen Kunstgeschichte und erstreckt sich in wichtige Bereiche der Zeitgeschichte. Insbesondere die Unterlagen zum Kunsthandel werden für die Provenienzforschung von erheblicher Bedeutung sein.

Es ist festzuhalten: Der in Kanada gesicherte Nachlass übersteigt das im Georg Kolbe Museum vorhandene schriftliche und fotografische Material und wird die Voraussetzung dafür liefern, endlich den Lebensweg des Künstlers vollständig zu dokumentieren, was insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus von immenser Bedeutung für die wissenschaftlich-kritische Aufarbeitung dieser Zeit sein wird. Ein so umfassender Nachlass ist für kaum einen Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannt.

Veröffentlicht am: 17.04.2020 | Kategorie: Kultur - was sonst noch passiert, Kunst - was sonst noch passiert,

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