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Sarah Entwistle – Die zarten Bande der Liebe sind fest geschnürt

18. Juni 2021

Sarah Entwistle - Die zarten Bande der Liebe sind fest geschnürt

Die Galerie Barbara Thumm präsentiert die erste Einzelausstellung von Sarah Entwistle in Berlin: Die zarten Bande der Liebe sind fest geschnürt (The knots of tender love are firmly tied). Sarah Entwistle (Jg. 1979) arbeitet stilübergreifend und oft mit Readymades. Ihre skulpturalen Installationen gleichen Interieur-Stilleben und ziehen ihre visuelle und konzeptionelle Inspiration aus dem privaten Archiv ihres verstorbenen Großvaters, des Architekten Clive Entwistle (1916-1976), einer manipulativen Figur, dessen zahlreiche Geliebte häufig in masochistische Dynamiken hineingezogen wurden.

Diese Technik präsentiert sich hier als ein Mittel der generationenübergreifenden Verarbeitung sowohl auf buchstäblich stofflicher, als auch auf metaphysischer Ebene durch die Anreicherung und Montage von skulpturalen Elementen, Videos, figürlichen Skizzen und gewebten Wandteppichen. Eine Ansammlung von Metallabschnitten, Industrieschrott und zermalmten Stahlregalen bildet gemeinsam mit handgewebten Wandteppichen, Keramik und Beleuchtungselementen ein Stillleben, das in Größe, Form und Zusammensetzung auf die Inneneinrichtung eines Heimes verweist. Die wiederkehrenden Motive der Hände als Medium der Zugewandtheit und Zuneigung und des Katzenpfotenknotens als Allegorie des generationenübergreifenden Austauschs ergründet sie in ihrer Video-Arbeit „The dupe of another“ und in Zeichenstudien auf Papier.

Sarah Entwistle - Die zarten Bande der Liebe sind fest geschnürt, Galerie Barbara Thumm
Sarah Entwistle – Die zarten Bande der Liebe sind fest geschnürt

Aufgrund ihrer intensiven Auseinandersetzung mit systemischer Familientherapie und transgenerationeller Weitergabe hat die in Architektur ausgebildete Künstlerin sich einer künstlerischen Lebenspraxis verschrieben, die von den Herausforderungen des Archivmaterials und des Nachlasses beeinflusst wird und diesen stets verbunden bleibt. Diesen posthumen Dialog nutzt Entwistle um ihren familiären Narrativen entgegenzutreten, die oft Schnittstellen zu ihrer Identität als Frau, Künstlerin und Mutter aufweisen. Ihr Atelier nimmt den zentralen Raum der Wohnung ein, die sie sich mit ihren beiden Kindern teilt, sodass Arbeit und Leben hier häufig aufeinander einstürzen und ineinander übergehen. Entwistle selbst bezeichnet diese Erfahrung als „positive Fragmentierung“, wie sie von der feministischen Kunsttheoretikerin Lucy Lippard in den 1970er Jahren definiert wurde. Lippard zufolge ist die Collage selbst eine gelebte Aktivität, durch die „das Mischen und Zusammensetzen von Fragmenten zu einem neuen Ganzen führt“ – geboren durch das Zusammenkommen von Bearbeitung, Einfallsreichtum und Opportunismus und intensiviert durch die Bewältigung des Balanceakts zwischen Haushalt, mütterlicher Fürsorge und kreativer Arbeit. Der Ausstellungstitel, übernommen aus einem erotischen Gedicht ihres verstorbenen Großvaters, beschreibt Entwistles Erfahrung der fest verknüpften, aneinander gebundenen Partnerschaft zwischen Mutter und Kind.

Indem sie sich formale und kompositorische Fragmente des Archivs wie Farbgebung, grafische Motive und Fertigungsdetails kritisch aneignet, entwickelt Entwistle ihre intellektuelle Strategie und ihre physischen Arbeitsprozesse weiter. Sie kreiert Objekte und Kulissen, die in Natur und Materialität hybrid sind, von Metallbehängen über Stahllampen, bis hin zu großformatigen handgewebten Wandteppichen. Letztere entstehen seit langen Jahren oft in Zusammenarbeit mit der Weberin Kebira Aglaou. Konzeptionell fußt Entwistles Arbeit auf ihrer Faszination für „flankierende Materialien“ der Architektur- und Designarbeit (Überbleibsel, Trümmer, Reste). Visuell bringt sie so die starke Verbindung zwischen den Texturen der Werke und der Umgebung in der sie gezeigt werden an die Oberfläche und betont die Materialität ihrer Werke durch das Fehlen von Rahmung und Montage. Genauso, wie die meisten Entwürfe ihres Großvaters unrealisiert blieben, spielt auch ihr Werk mit dem Bereich der architektonischen Funktion, in dem das, was als Ausdruck des “Scheiterns“ hinterlassen wurde, neu überarbeitet und verkörpert wird.

Durch die von ihr produzierten Kunstwerke und Environments findet in Entwistles Dialog mit den Ephemera (Drucksachen, Bildern, Skizzen) des Archivs eine durchgängige Auseinandersetzung über die ungleichen Beziehungen zwischen Architektur, Design und Körper statt. Mit dem Kernimpuls der Neukonfiguration des Archivs und der im Material enthaltenen, ererbten Last greift sie die antike Architekturpraxis der „Spolia“ oder „Rediviva Saxa“ (wiedergeborene Steine) auf, wie sie im Folgenden selbst erläutert:

„Ich bin fasziniert von der Formbarkeit von Materialien und der architekturhistorischen Praxis der „Spolia“ – der Aneignung von Materialien in neue Formen. Mein Großprojekt ist ein fortgesetzter Dialog und die Demontage des Archivs meines verstorbenen Großvaters und Architektenkollegen Clive Entwistle. Die Inhalte seiner Papiere zeigen eine besondere, sexuell aufgeladene Dynamik seiner Lieblingsthemen – der weiblichen Präsenz und dem gestalterischen/architektonischen Werk. In vielen seiner Fotografien werden Frauen als „weiche Möbel“ präsentiert in gefälligen, ornamentalen und anzüglichen Posen in unmittelbarer Umgebung zu Clives Mobiliar-Entwürfen. Die Nebenhandlungen und Gewohnheiten seines Lebens sind mit meiner eigenen Identität als Architektin und Frau verwoben und bilden den Antrieb dieses fortlaufenden Projekts. Er fußt auf einer Form von Selbst-Exorzismus, den ich durch die Dekonstruktion und Umgestaltung dieses Archivs kanalisiere.“

In anderen Worten ist das, was Entwistle begonnen hat, der Prozess einer allmählichen Neuzentrierung und Rückeroberung der weiblichen Muse als erotische Kraft durch die sowohl prozesshafte als auch inhaltliche Erkundung von Webereien, Keramiken und Objekten, die aus einem konzeptionellen Ringen mit jenem phallozentrischen Archiv der Architektur und Persönlichkeit ihres Großvaters entstanden sind. Und so eröffnet sich ihr in der Arbeit mit diesen Überresten die Möglichkeit, eine vielschichtige, wenn nicht gar akzeptierte Machtdynamik herauszufordern und umzukehren. Die handgefertigte Einzigartigkeit jedes einzelnen Elements widersetzt sich im richtigen Moment der Zweckmäßigkeit und Funktionalität der standardisierten und reproduzierbaren Prototypen des hohen Designs. Dieser Transmutationsprozess versucht somit, eine Form des kreativen und kulturellen Exorzismus zu sein und ist zugleich nicht nur eine Abrechnung mit einer sehr persönlichen Geschichte, sondern zugleich eine kraftvolle Umgestaltung ihres Erbes.

Sarah Entwistle – Die zarten Bande der Liebe sind fest geschnürt (The knots of tender love are firmly tied)

18 Juni – 28 September 2021

Galerie Barbara Thumm

Details

Datum:
18. Juni 2021
Veranstaltungskategorie:
Veranstaltung-Tags:
Eintritt: -

Veranstaltungsort

Galerie Barbara Thumm
Markgrafenstraße 68
Berlin, 10969
+ Google Karte
Telefon:
+49 30 28390347

Veröffentlicht am: 21.06.2021 | | Tag: intern,

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