Kolumne: Falling in Love – Jean-Paul Gaultier Show im Friedrichstadt-Palast

Falling in Love - Jean Paul Goultier Show im Friedrichstadt Palast. Kolumne von Tarik Ahmia

Kunstleben Berlin Kolumne von Tarik Ahmia. Der Show-Orgasmus. In der neuen Bühnenshow „Falling in Love“ wirbt der Friedrichstadt Palast mit allerlei Superlativen und Promis. Doch die Revue glänzt auch so…

Wo finden wir ein Licht der Hoffnung in dieser dunklen Zeit?

Krieg, Leid, Tod und Vertreibung, wohin man nur blickt. Menschen in der Ukraine, in Gaza und in Israel sterben tausendfach.

Wer mag sich angesichts dieses Horrors anstatt einer friedvollen eine frivole, glitzernde Bühnenshow ansehen, die kompromisslos Hedonismus, Lebenslust und Überfluss in jeder nur denkbaren Kategorie zelebriert?

Um die Wahrheit zu sagen: es sind sehr, sehr viele.

Und es sind wahrlich nicht nur die 1.900 geladenen Gäste aus Medien, Show und Politik, die sich am vergangenen Mittwoch Abend der Weltpremiere von „Falling in Love“, dem teuersten jemals im Friedrichstadt Palast inszenierten Show-Spektakel, hingeben.

Palast Intendant Berndt Schmidt verkündet zum Auftakt der großen Show nicht ohne Stolz, das Spektakel habe mit dem Vorverkauf schon zur Weltpremiere 60 Prozent seiner 14 Millionen Euro teuren Produktionskosten eingespielt.

100 Millionen Kristalle

Geradezu veteranenhaft flanieren auf dem roten Teppich inmitten einer kaum überschaubaren Zahl an Influencern und Instagram-„Stars“ Partykönig und Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit, RTL Moderatorin Vera Int-Veen („Schwiegertochter gesucht“) und Eurovison-Siegerin Conchita Wurst. Die irischen Eurovision-Zwillinge “Jedward” scheinen die Fotografenzone gar nicht mehr verlassen zu wollen.

Im Vorfeld wurde bereits mit großen Namen und Rekorden nur so um sich geworfen: Die Aufsicht über das opulente Kostümdesign der 2,5 Stunden Show hatte Jean-Paul-Gaultier, der  zur Premiere selbstverständlich auch mitfeiert. Zum Glitzern bringen sollen die größte Theater-Bühne der Welt und Hunderte Kostüme des Abends nicht weniger als 100 Millionen Swarovski-Kristalle. Ein Superlativ, dass auch deshalb gut gewählt ist, weil es niemand wir je überprüfen können. Doch dergleichen Erbsenzählerei spielt in der „Grand Show“ von „Falling in Love“ keine Rolle. Denn hier geht es vor allem um eins: Wir lassen es krachen!

Die Vorbereitung dafür lag in den Händen von Oliver Hoppmann, der sein Handwerk einst beim Konzipieren von Firmenevents und Musikveranstaltungen erlernte und seit acht Jahren Kreativdirektor im Friedrichstadt Palast ist.

Schon 2016 hat er mit Jean-Paul Gaultier die Show „The One“ auf die Palast Bühne gebracht.  Nun wollte Hoppmann als Autor und Regisseur von „Falling in Love“ offenbar sein Meisterstück abliefern. Keine einfache Aufgabe, denn der kapitalistische Zwang nach Profitabilität verlangt, dass für wirklich jede/n etwas dabei sein muss.

Darf’s ein bisschen mehr sein?

An Zutaten spart der gebürtige Heidelberger gewiss nicht. Eine groovende fünfzehnköpfige Liveband liefert non-stop den Soundteppich für die Story, die das Ensemble aus 50 Tänzer*innen und einem halben Dutzend Gesangs-Solist*innen in einer atemberaubenden Abfolge auf die Bühne bringen.

Der Erzählbogen, der dieses farbenfrohe Gesamtkunstwerk aus Massenchoreografie und Soloperformances zusammenhält, ist so schlicht wie angemessen für ein Spektakel dieser Größenordnung gewählt.

Den Auftakt macht ein stummer Tänzer in weißen Leinen und gleißendem Scheinwerferlicht, der auf der Suche nach seinem „Ich“ ist, so erzählt es eine Stimme aus dem Off.

PIXAR lässt grüßen

Auf dieser abendfüllenden Reise des Protagonisten zu sich selbst hat sich Hoppmann wahrscheinlich von dem wunderbaren PIXAR-Animationsfilm „Alles steht Kopf“ inspirieren lassen. In dem Kinofilm blicken die Zuschauer in die Emotionszentrale des Mädchens Riley, in der sich die unterschiedlich-farbigen Protagonisten (Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel) permanent um die Leitung des Schaltpultes in Rileys Hirn streiten. Hoppmann reduziert die Emotions-Akteure für sein Stück auf drei Einflüsterer, jeweils gelb, grün und rot. Natürlich gibt es nach den emotionalen Berg- und Talfahrten des stummen Tänzers ein Happy-End mit der Botschaft, dass jeder Mensch sich finden muss. Und dass Solidarität die Menschen vereint! War noch etwas? Achso, natürlich: Liebe heilt!

So schlicht die Story, so gut die Umsetzung. Ob Musical „muffelig oder manisch“, Event „Hasser oder Fan“, diese Show lässt niemanden kalt. In einer konsequent programmierten Eskalation aus Farben, Formen, Pyrotechnik und Wasserspektakel, steigert sich „Falling in Love“ zu einem überwältigenden Aufgebot dessen, was 2023 mit phantasievoller Massenchoreografien sowie Bühnen- und Lichttechnik möglich ist. Ein Show-Orgasmus, den so vermutlich nicht einmal Chinas KP für ihren Einheitsparteitag hinbekäme.

Größter Swarovski Kristall der Welt

Wen das immer noch nicht in Verzückung versetzt, für den hat Hoppmann – völlig losgekoppelt vom Erzählfaden – drei akrobatische Weltklasse-Acts als Turbo-Brenner in den Abend eingebaut, die selbst noch die zum Staunen bringen, die glaubten, sie hätten schon alles gesehen.

Im letzten Teil der Show strahlt ein 180 Kilogramm schwerer geschliffener Swarovski-Kristall von der Bühne – und er strahlt offenbar direkt in die Herzen des Publikums. Denn mit Standing Ovations und strahlenden Gesichtern bedanken sich die vielen Promis und Nicht-Promis des Abends für eine fulminante, ungezügelt positive und wohl gerade deshalb so umwerfende Portion an Lebenskraft und Lebensfreude.

Es wäre leicht, sich über die naive, hedonistische Glitzerwelt von „Falling in Love“ lustig zu machen. Aber das würde der Intention der Show (Vollgas-Entertainment für die Massen) ebenso wenig gerecht wie der Leistung des Teams vom Friedrichstadt Palast.

Die Weltpremiere im Friedrichstadt-Palast klingt aus im Foyer mit Getränken für alle auf Kosten des Hauses sowie einem schweißtreibenden DJ-Set. Der Abend wird noch lang, doch „Falling in Love“ wäre auch ohne das opulente Begleit-Setting ausgekommen.  Denn hier wird wirklich geliefert.

Falling in Love, täglich außer Montag und Mittwoch, Tickets zwischen 20€ und 55€

Website und Tickets: palast.berlin

Bilder vom rauschenden Weltpremiere-Abend

Veröffentlicht am: 17.10.2023 | Kategorie: Fashion, Kolumne Tarik Ahmia, Kultur, Kultur - was sonst noch passiert, Kunst - was sonst noch passiert, Magazin, Musik, Theater, | Tag: Kolumne Tarik Ahmia,

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