Quo vadis, Berliner Kunst?

Quo Vadis Berliner Kunst, Kunstleben Berlin

Neulich gab es im Berliner Tagesspiegel einen Beitrag mit dem Titel „Berlin verliert Attraktivität als Kunstmetropole“. Ohne weiter auf das dort Geschriebene einzugehen, komme ich zu dem Schluss, dass das nicht verwunderlich, auch gar nicht überraschend ist – langfristig gesehen, auch nicht nur Berlin betreffen wird, und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen braucht Kunst Publikum. Ein Publikum, das mit Kunst etwas anzufangen weiß. Nicht nur jene, die Dollarzeichen in den Augen haben, wenn sie ein Werk betrachten, sondern auch jene, die den Zauber der Kunst verstehen, Widersprüchlichkeiten aushalten und sich einlassen können. Der Grundstein dafür wird in der Kindheit gelegt. Ob es nun das Musizieren, Malen, Theaterspielen oder auch einfach nur das zweckfreie Spielen ist – sinnliche und kognitive Fähigkeiten und Empathie brauchen Raum und Zeit, um sich zu entfalten. Um einen Zugang zu unseren Sinnen zu bekommen, müssen wir die Freiheit haben, zweckfrei gestalten zu können. Können wir das noch? Kaum. Schon meine Generation wurde zunehmend auf Leistung getrimmt. Muße war etwas für Sonderlinge und Verweigerer.

Berlin gibt einiges aus, um Kunst- und Kultur zu fördern, aber nach meinem Verständnis nicht an der richtigen Stelle. Projekte gibt es viele, aber es krankt an der Basis. In welchem Elternhaus wird heute noch gemeinsam gesungen und musiziert? Wer hat dafür Zeit? In welcher Schule wird darauf geachtet, die Fächer Kunst und Musik möglichst nicht ausfallen zu lassen? Wie führen wir Kinder heute an Kunst heran, damit sie sie als etwas begreifen können, das ihnen später  in vielen Lebenssituationen Ausweg sein kann, Trost spendet, Mut macht, Wege aufzeigt, ihr schöpferisches Ich weckt, ihre Kreativität blühen lässt? Die meisten kennen Kunst nur als etwas, das viel Geld kostet. Nicht nur, wenn man es kauft, sondern schon, wenn man es betrachten will. Den Eintritt in Museen und andere Kunststätten endlich kostenlos zu machen, wäre ein wichtiger Schritt, um Hemmschwellen und Berührungsängste abzubauen. Mehr Gewicht auf die schulische Förderung von kreativen Fähigkeiten zu legen, Erfahrungsräume zu schaffen, statt sie immer weiter einzugrenzen, ein weiterer.

Ein anderer Punkt ist der: Einst waren Künstler*innen Berater des Königshauses. Nun leben wir heute nicht mehr in einer Monarchie, aber es gibt Regierungen, die den eigentlichen Wert der Kunst für viele gesellschaftliche Prozesse gnadenlos unterschätzen oder ignorieren. Vielleicht auch aus Angst vor der Macht, die Kunst entfalten kann. Nicht umsonst haben die Nazis Bücher verbrannt, Bilder und Werke zerstört. Die meisten Künstler*innen leben heute von HartzIV, einige werden politisch verfolgt, andere sterben in der Glamourwelt den einsamen Tod des Verrats an der eigenen Kunst oder gehen am Sinnlosigkeitsverdacht des Zirkus‘ zugrunde. Wer dabei zuschaut und es zulässt, liebt nicht die Kunst, sondern den Konsum. Ein Staat, eine Stadt oder eine Wirtschaft, die ihre Künstler*innen nicht ehren und ihnen nicht die Freiheit ermöglichen, die sie brauchen, um zum Kern ihrer Kunst vorzudringen, werden vertrocknen. Freie Kunst ist nicht nur der Nährboden für Demokratie. Freie Kunst, von Kindheit an gefördert, ist weise Schöpferkraft. Sie bietet den Raum, sich mit Widersprüchen auseinanderzusetzen. Sie gibt Halt und Sinn. So, wie Kunst eine Demokratie aufblühen lässt, sollte Demokratie die Kunst auch nähren, statt sie verhungern zu lassen. In Berlin Förderungen für Kunstprojekte zu beantragen, gleicht oft einem Ultra-Triathlon. Nicht nur, dass man fit in mehreren Disziplinen sein muss, es braucht auch Ausdauer, Einsatz und im Grunde kostet es auch Geld. Denn während man sich durch den Verwaltungsdschungel schlägt, bleibt die Kunst auf der Strecke. Doppel-Förderungen sind gleich gar nicht möglich und geförderte Honorare liegen auf einem unterirdischen Niveau. Man muss schon ein großer Idealist sein, um sich dem auszusetzen. Viele tun es nicht und so zieht die Karawane weiter in die nächste Stadt, das nächste Land, den nächsten Ort. Schade für Berlin.

Veröffentlicht am: 20.04.2019 | Kategorie: Kolumne Jeannette Hagen, Kultur - was sonst noch passiert, Kunst - was sonst noch passiert, Redaktion-Tipp,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert