TIMO NASSERI: I am a sky where spirits live

Von Anfang an Bewegung: Geometrische Bildformationen, die das Auge kreisen lassen, kaleidoskopartige spiegelnde Oberflächen, die den Blick in den Raum wie auch ins eigene Antlitz zurückwerfen und fragile Stahlrohrskulpturen, die sich voluminös und luftig zugleich in den Raum dehnen und das Herumgehen regelrecht herausfordern. Schon der erste Blick zieht in Bann; die Wahrnehmung steht nicht still.

In Timo Nasseris aktueller Ausstellung treten serielle Werkgruppen und Ensembles aus unterschiedlichen Werkphasen miteinander in Verbindung: In seinen Bildern springen exakt berechnete, intensive Farbmuster aus einer Vielzahl geometrischer Formen gleichsam in den Raum. Die eleganten Kurven der Stahlrohrskulpturen entpuppen sich beim zweiten Blick indes als Geraden, die es dennoch vermögen, mit großer Raffinesse geometrische Volumen zu umzeichnen. Und die unzähligen dreieckigen Facetten der Spiegelarbeiten sabotieren gar mit unendlichen Brechungen und Lichtreflektionen den direkten Blick auf die kristallinen Gebilde.

Timo Nasseri: Radiance #1, 2022; High polished stainless steel
Timo Nasseri: Parsec #6, 2017; Polished stainless steel

Timo Nasseri ist nicht allein an optischen Verwirrspielen und magischen Wahrnehmungsvorgängen gelegen. Seine Bild- und Formfindungen entwickeln sich speziell bei den dreidimensionalen Arbeiten aus tiefgreifenden Auseinandersetzungen mit Gedankenmodellen der Mathematik und den mathematischen Prinzipien islamischer Ornamentik und Architektur. So greift die Skulptur ‚Hedron‘ mathematische Denkmodelle zur Unendlichkeit auf, während die Spiegelskulptur ‚Parzec‘ das abstrakte Phänomen mit zahllosen Spiegelfacetten greifbar macht, die nie ein vollständiges Abbild zulassen. Abstraktion meint bei Timo Nasseri insofern nicht ausschließlich eine ästhetische, sondern ebenso auch eine mathematische und zugleich symmetriebildende Operation, um potentielle Möglichkeiten im Feld des Sichtbaren fassbar zu machen.

Dabei knüpfen die kontrastreichen Muster-Allover in Nasseri’s Bildern an die Camouflage-Methode des ‚Razzle Dazzle‘ an, einer im Ersten Weltkrieg verwendeten Tarnung für Schiffe, um die Augen des Feindes gezielt zu desinformieren. Die grellen Farbmuster der Dazzle-Paintings sollten den Gegnern erschweren, die korrekte Position eines Schiffes, seine Geschwindigkeit und seine Richtung zu bestimmen.

Timo Nasseris hochformatige Bilder greifen nun diese Irritationsmannöver auf und simulieren mit ihren Farbverläufen und lebhaften Farbkontrasten vielfältige Bewegungseffekte, die heftiges Augenflimmern provozieren. Wir können uns niemals sicher sein, das Gesehene richtig zu interpretieren. Da wir aber nicht anders können, als uns diesen Wahrnehmungsirritationen jedes Mal aufs Neue hinzugeben, ist diese Art von Malerei auch auf die sinnmöglichste Weise dazu angetan, uns die Täuschungspotenziale der Malerei wie auch die defizitären Momente unseres Erkennens wortwörtlich vor Augen zu stellen.

– Birgit Effinger

Beitragsbild: Timo Nasseri: Neodemon, 2020; Acrylic on canvas on wood

TIMO NASSERI: I am a sky where spirits live

16. September 2022 – 05. November 2022

Taubert Contemporary

Veröffentlicht am: 07.10.2022 | Kategorie: Ausstellungen, Kunst,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert