Treiben – eine Graphic Novel von Bernadette Schweihoff

Bernadette Schweihoff Graphic Novel

Treiben – der Titel könnte kaum besser gewählt sein, denn in diesem Wort steckt fast alles, was Betrachtern im Buch begegnet: das Treiben, es treiben, sich treiben lassen, getrieben sein, sich im Treiben verlieren und finden, antreiben, umtreiben, vertreiben und dem Treiben begegnen. Wer sich auf die Graphic Novel von Bernadette Schweihoff einlässt, blättert nicht nur durch eine sehr persönliche Geschichte über eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn im Winter, sondern wird Teil des Treibens auf vielen Ebenen. Das hat etwas aufregendes und beruhigendes gleichermaßen – treiben eben.

Die Geschichte beginnt mit einstimmenden Bildern, die handwerklich gut gezeichnet das Gefühl einer langen Zugfahrt durch ewig gleich aussehendes Gelände wiedergeben. Dann wird es erotisch – Bernadette Schweihoff zieht uns direkt in ihre Beziehung. Hinein in ihre überbordende Lust, die offenbar auch dadurch getriggert wird, dass es auf sieben Quadratmetern Zugabteil nicht viel mehr gibt, als den eigenen Körper. Einen Körper, der sich – aufgeheizt durch gleichförmiges Schaukeln und durch eine zu hoch eingestellte Heizung, die sich nicht regulieren lässt, nach Entspannung sehnt. Dass diese sich nicht auf Knopfdruck einstellt, die Anspannung aber nicht verschwindet, ist nachvollziehbar, und darum folgt man ihr angeheizt durch die ersten Andeutungen gespannt auf die Zugtoilette. Das hat ein bisschen was voyeuristisches, so wie man überhaupt während der gesamten Graphic Novel auf angenehme Art ein bisschen Voyeur bleibt.

Den Plan, mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland zu fahren, hatte der Partner Schweihoffs schon lange. Als sie es im Winter 2019/20 realisieren, war die Pandemie noch nicht auf ihrem Höhepunkt und Russland noch weit davon entfernt, die Ukraine anzugreifen. Man kann nicht durch das Buch blättern, ohne das mitzudenken. Ich kenne viele Menschen, die den Traum von einer Fahrt mit der Transsib träumen und ich kenne genauso viele, für die dieser nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands für immer ausgeträumt ist. Was bleibt, ist eine Sehnsucht, die auch das Buch nicht stillen kann.

Bernadette Schweihoff Graphic Novel

In einer Rezension im Tagesspiegel wird Schweihoff vorgeworfen, dass das Buch Tiefe vermissen lasse und dass “bei der Lektüre des schön gestalteten Bandes der Eindruck” entstünde, “dass Russland Schweihoff lediglich als Kulisse dient für die sehr persönlichen Bezüge, die im Buch präsentiert werden”. Der Vorwurf ist nicht schlüssig, denn schon Bild und Text auf dem Einband weisen darauf hin, dass die Beziehung im Vordergrund steht, dass sie durch das Land treibt und sich mit der Energie, die viele Russland-Reisende beschreiben, verbindet. Russland ist in diesem Fall ganz klar Kulisse. Allerdings eine durchaus stimmige – gut in Szene gesetzt durch die klare Linienführung, die Direktheit der Zeichensprache und durch die auf stimmige Weise gedämpfte Farblichkeit.

„treiben“ ist zwar die erste größere Comic-Veröffentlichung von Bernadette Schweihoff, eine Unbekannte in der Zeichner*innen-Szene ist sie allerdings nicht – schon mit 15 Jahren waren ihre Arbeiten Teil einer Gruppenausstellung. Das Buch ist ihre Abschlussarbeit für den Bachelor an der privaten University of Europe for Applied Sciences Berlin (ehemals BTK). Auf die Frage, was sie an Bleistiftzeichnungen fasziniert, antwortet sie, dass es die Unmittelbarkeit ist, das Direkte, die Tatsache, dass die Handkante manchmal auch eine Linie verwischt. Über ihr Buch selbst sagt sie:

“Die Reise mit der transsibirischen Eisenbahn ist ein Gefühl. Es ist grafische Poesie oder ein komponiertes Lied in Bildern und Text. Wie ein eigener Song. Und genau das habe ich versucht festzuhalten. Auf der Reise selbst habe ich ein Tagebuch geführt und gezeichnet. Und egal, wo ich ein Lied gehört habe, habe ich es mit einer App gesucht und abgespeichert. Zuhause konnte ich dann mit den Liedern wieder auf Momente zurückgreifen. Und dann waren da noch die einzelnen Stationen, an denen wir ausgestiegen sind. Je weiter wir nach Sibirien kamen, umso mehr hatte sich etwas in mir verändert. Ursprünglich war es ein Abenteuer, aber es wurde zu einem unbeschreiblichen Gefühl, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Was sollte denn schon Großartiges passieren, wenn man nur aus dem Fenster schauen kann für Wochen. Zuerst denkt man, hoffentlich streiten wir uns nicht in dieser 7m²-Büchse.”

Wer mit Bernadette Schweihoff mitreisen will: Die Edition Moderne Zürich hat uns zwei Exemplare der Graphic Novel zur Verfügung gestellt. Schreibt doch einfach bis zum30. Juni hier oder auf unseren Social-Media-Kanälen in die Kommentare, was Euch an Comic-Zeichnungen fasziniert oder warum Ihr Euch auf dieses Buch freut.

Bernadette Schweihoffs Graphic Novel “treiben – Unterwegs mit der transsibirischen Eisenbahn”, Edition Moderne, Zürich.
(ISBN 978-3-03731-231-5, 168 Seiten, farbig, 17 × 24 cm, Klappenbroschur, 24 Euro)

Veröffentlicht am: 23.06.2022 | Kategorie: Ausstellungen, Kolumne Jeannette Hagen,

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