DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE – wie viel ist Freiheit uns wert?

Der Mann, der seine Haut verkaufte. Jeannette Hagen für Kunstleben Berlin

Es gibt im Internet eine Datenbank, die von der Jahrtausendwende bis 2016 alle Menschen verzeichnet hat, die bei dem Versuch, für ein besseres Leben nach Europa zu flüchten, gestorben sind. Die Datenbank fasst über 30.000 Einträge, mittlerweile dürften es 40.000 oder mehr sein, jene stillen Tode, von denen wir nichts wissen, weil die Menschen in der Wüste verdurstet, in Lagern totgeschlagen oder unbeobachtet im Meer ertrunken sind, nicht eingerechnet.

Wer diese Zahlen an sich heranlässt, kommt nicht umhin, sich ethische Fragen zu stellen – zum Beispiel die, warum es nicht jedem Menschen auf dieser Welt erlaubt ist, dort hinzugehen, wo er oder sie für sich eine neue Zukunft sieht. Wer flüchtet, setzt neben dem hohen finanziellen Einsatz, sein Leben aufs Spiel. kaum vorstellbar für uns, die sich frei fühlen können, mit einem Pass und Preisen, die sich die meisten leisten können, überall hinzufliegen. Dass sich einige trotzdem gegängelt und eingesperrt fühlen, zeigt, wie unterschiedlich besetzt der Begriff der Freiheit ist. Auf dieser Ebene bewegt sich “Der Mann, der seine Haut verkaufte”, der Regisseurin und Drehbuchautorin Kaouther Ben Hania.

Seit der Jahrtausendwende sind Sam Ali, ein junger und sensibler Syrer, ist bis über beide Ohren verliebt in seine Freundin Abeer. Als er wegen einer Nichtigkeit ins Visier der politischen Polizei gerät, flieht er kurzerhand in den Libanon.Sam begegnet den regelmäßig scheiternden Versuchen, in Beirut einen Fuß an den Boden zu bekommen, mit trotziger Lebensenergie. Als sich Abeer allerdings entscheidet, einen Diplomaten zu heiraten und nach Belgien zu ziehen, scheint auch Sam zu kapitulieren. Wie soll aus gerechnet er seiner großen Liebe nach Europa folgen können?

Seine Situation scheint aussichtslos bis er sich, des kostenlosen Buffets wegen, in die Ausstellungseröffnung einer Beiruter Galerie schleicht.

Und hier beginnt eine Geschichte, die uns tief in den Zynismus der heutigen Zeit und in die Absurdität des Kunstmarktes zieht. Ein Werk, “das die Unterschrift des Teufels ziert” entsteht – Freiheit gegen Leben. Aber was ist ein Leben ohne Freiheit wert? Selbst, wenn es scheinbar auf der richtigen Hälfte der Erdkugel spielt? Und was heißt in diesem Zusammenhang “richtig”. Ist es nicht eher pervers?

Der Film spielt und wechselt auf spielerische und gleichzeitig bedrückende Art und Weise auf und mit diesen Ebenen und Fragen. Neben Sam und Abeer steht der international bekannte Künstler Jeffrey Godefroi im Zentrum der Handlung. Scheinbar skrupellos ausgerichtet auf seinen Erfolg, spiegelt er das Böse, auf Oberflächlichkeit, Gier und Reichtum ausgerichtete Paradigma unserer Zeit. Dabei basiert der Film auf der Geschichte des menschlichen Kunstwerks namens Tim des belgischen Konzeptkünstlers Wim Delvoye:

2008 tätowierte Delvoye eine aufwendige Punk-Kreuzigungsszene auf den Rücken eines Zürcher Tattoo-Studio-Besitzers namens Tim Steiner, der sich gegen Bezahlung dazu bereit erklärte, sich mit seinem tätowierten Rücken in Galerien auszustellen und sich nach seinem Tod die tätowierte Haut operativ entfernen und ausstellen zu lassen. Anders als der Protagonist des Films hat Steiner das Arrangement allerdings nicht unter einem offensichtlichen Zwang geschlossen.

Es steht also nicht nur die Frage im Raum, wie weit würde man selbst gehen, um an sein Ziel zu gelangen, sondern darüber hinaus auch die danach, wie weit andere gehen, um das zu bekommen, was sie wollen. Damit rückt neben der Ethik auch das Recht in den Fokus. eine weitere Stärke des Films, der auch hier gekonnt, die Ebenen verwebt. In einem Interview antwortet die Regisseurin Kaouther Ben Hania auf die Frage, wie sie darauf gekommen ist, die Geschichte eines Flüchtlings mit der Kunstwelt zusammenzubringen, wie folgt:

“Ich lasse in diesem Film zwei Welten aufeinandertreffen, die mich beide faszinieren: die der zeitgenössischen Kunst und die des alltäglichen Überlebens von Geflüchteten. Wir haben es hier mit zwei in sich abgeschotteten Welten zu tun, die von völlig unterschiedlichen Codes regiert werden. Auf der einen Seite haben wir eine etablierte, elitäre Welt, in der „Freiheit“ ein Schlüsselbegriff ist ; auf der anderen Seite haben wir eine Welt des Überlebens, die von aktuellen Ereignissen beeinflusst wird und in der das Fehlen von Wahlmöglichkeiten die tägliche Sorge der Geflüchteten ist.

Das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten fordert ein Nachdenken über unserVerständnis von Freiheit offen ein. Sam,der Geflüchtete, weiß das sehr wohl, wenn er dem Künstler Jeffrey sagt: „Du bist auf der richtigen Seite der Welt geboren. Das Problem ist, dass wir in einer Welt leben, in der die Menschen nicht gleich sind. Trotz aller Reden über  Gleichheit und Menschenrechte sorgen die immer komplexeren historischen und geopolitischen Zusammenhänge dafür, dass es unweigerlich zwei Arten von Menschen gibt: die Privilegierten und die Verdammten.

Die Frage, wer freier ist und was Freiheit für jeden von uns bedeutet, wie viel sie wert ist, ist nach dem Abspann nicht geklärt. Das ist gut so, denn der Film drängt darauf, uns länger damit zu beschäftigen, als 90 Minuten in einem gut gepolsterten Kinosessel.

Event zum Kinofilm

DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE
24. Februar 22, 20:00 Uhr

Delphi Lux, Yva-Bogen, Kantstraße 10, 10623 Berlin

Filmgespräch mit
Cesy Leonard (Radikale Töchter)
Mey Seifan (Künstlerin u. Aktivistin)
Reem Alabali-Radowan (SPD, angefragt)
Moderation: Sham Jaff

Veröffentlicht am: 24.02.2022 | Kategorie: Ausstellungen, Kolumne Jeannette Hagen, | Tag: Kolumne Jeannette Hagen,

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