Kolumne: Als hätte es die DDR nie gegeben

Kolumne. Jeannette Hagen für Kunstleben Berlin

Vor ein paar Wochen schickte mir mein Sohn ein Foto: Ein wunderbarer Blick über die Berliner Mitte unter einem strahlend blauen Himmel. Aus der Blickrichtung und dem, was man sah, entnahm ich, dass das Bild vom Dach des Humboldt-Forums aufgenommen sein musste und richtig: Bevor das Dach für den Publikumsverkehr freigegeben wurde, sollte eine Lautstärkemessung erfolgen – eine Aufgabe, die mein Sohn mit Freude erledigte, denn wann hat man schon mal so einen schönen Ausblick. Das ist allerdings dann aber auch schon alles, was mir an Positivem zu diesem Bau einfällt. Ich habe lange überlegt, ob ich meine Abneigung gegenüber dem Humboldt-Forum hier thematisiere, aber als ich gestern ein Gespräch mit dem Historiker Götz Aly im Monopol-Magazin las, war klar, dass ich sie nicht ignorieren sollte.

Ich bin in Ostberlin aufgewachsen, als der Palast der Republik oder „Erichs Lampenladen“, wie er umgangssprachlich hieß, 1976 seine Türen öffnete, war ich neun Jahre alt. Mit großen Augen und kindlichem Staunen stand ich in dem „Protzpalast“ oder „Palazzo Prozzo“– auch beliebte Namen für den Bau aus Glas und Beton und eben leider auch viel Asbest. Letzteres spielte in meiner Wahrnehmung natürlich keine Rolle, für mich war das Gebäude schnell Teil meines Lebens. Das Eis in der Milchbar mit Blick auf die Spree schmeckte lecker, die Bilder, die im Foyer in der 2. und 3. Etage hingen, beeindruckten mich und prägten meinen Blick auf Kunst nachhaltig und die großen Leuchten erinnerten an das Glitzern im Film „Die Schneekönigin“ – alles in allem eine kindliche Wahrnehmung, die sich noch weit weg von DDR-Propaganda und Politik bewegte. Dass sich das im Laufe der Jahre änderte, wirkte sich erstaunlicherweise nicht auf mein Verhältnis zu diesem Haus aus. Ich mochte den Palast. Ich mochte ihn, obwohl er Sitz der Volkskammer und damit auch Ausgangspunkt für Entscheidungen, die Menschenleid verursacht haben, war. Dafür war es aber auch der Ort, von dem aus sich die Botschaft, dass die Grenzen geöffnet werden, wie ein Lauffeuer verbreitete.

Dass der Palast der Republik abgerissen und an seiner Stelle heute wieder ein dem Stadtschloss nachempfundener Wilhelminischer Bau steht, dessen Inneres unter anderem eine Präsentation des Ethnologischen Museums beherbergt, gehört für mich zu den unrühmlichen Kapitel der Berliner und damit auch der deutschen (Bau)Geschichte. Da passt in vielerlei Hinsicht einfach einiges nicht zusammen. Das ganze „Ding“ ist Symbol für kulturelle Einfallslosigkeit und dem „Horror vacui“ – eine städtebauliche, architektonische und insbesondere inhaltliche Verzweiflungstat. Baulich massiv DIN-gerecht dastehend und doch nur ein Klotz kulturellen Pappmachés, mit pontemkinscher Kulisse eines royalen Schlosses – irgendwie aus Mangel an anderen Ideen, jetzt verschwurbelt als Forum der Gebrüder Humboldt.

„Den Leuten gefällts“, hört man.

Aber Schlösser – weder damals neu, noch jetzt alt, noch als Replikbau sind für “die Leute“ gebaut. Herrschaftszeiten, Royalismus, Monarchie, Kaiserreich, Nationalstolz, Protz, Prunk – und: Geld, Macht und schlechter Geschmack paaren sich im Bautypus Schloss als antidemokratisches Sinnbild. „Den Leuten gefällts“, hört man trotzdem und zweifelt still.

Und nehmen wir den Namen Humboldt – Alexander und Wilhelm von Humboldt. Alexander der Entdecker, Forscher, polyglotter Reisender, Suchender nach Neuem. Wilhelm der Gelehrte – jetzt müssen die Humboldts für biedere, rückwärtsgewandte Retrokultur herhalten. Was für eine Ironie. Sie standen für Neues, für Aufbruch, für Aufklärung – sicher nicht dafür, dass man sich nostalgisch symbolisch das alte Kaiserreich zurückwünscht. Denn das hatten wohl einige im Sinn, die Geld für den Bau in siebenstelliger Höhe gespendet haben. Der Tagesspiegel hat dazu recherchiert:

Preußentum und Antisemitismus:Ehrt das Humboldt Forum einen Mäzen mit rechtsradikaler Gesinnung?

Aber das ist längst nicht alles. Ein Haus, noch dazu ein Schloss, noch dazu an so prominenter Stelle trifft eine Aussage. Ein Gebäude mit Gesimsen, Kuppel und Kreuz obendrauf, die Fassade aufgepimpt als Hintergrundmotiv für urdeutsche Selfie-Photos, hintenrum sachlich ergänzt im Stile des italienischen Retro-Rationalismus – immerhin wettbewerbsgekürt, aber was soll das? Das historische Schloss wurde 1950 gesprengt, der Neubau „Palast der Republik“ als Bauikone der Versöhnung der Herrschenden mit den Beherrschten war gescheitert, hätte nicht – Asbest befreit – ein „Vereinigungsvolkspalast“ ein grandioses Bauwerk im Zeichen der Wiedervereinigung, eine wahre Agora werden können? Stattdessen hieß es: „Schnell weg das Ding“ und an seine Stelle eine Retro-Eklektik-Schlossreplik – was für ein kulturelles Armutszeugnis. Wenn wenigstens innen eine weitere Mega-Shopping-Mall Einzug gehalten hätte, dann wäre das Ganze immerhin schlüssig gewesen. „Den “Leuten” hätte es auch gefallen.

Aber was geben wir Berlin-Besuchern aus aller Welt nun mit auf den Weg? Dass wir unsere Kolonial-Geschichte feiern? Dass wir die eigene ausradieren und stattdessen den Blick zurück auf die Vergangenheit richten? Es gab hervorragende Entwürfe, die Teile des Palastes der Republik mit in die Planung einbezogen hatten. Die damit auch ein Stück DDR, und damit auch die Auseinandersetzung damit, erhalten hätten. Aber das war offensichtlich nicht gewollt. Anstelle dieser Auseinandersetzung zementiert man Protz, hübscht ihn auf und pflegt damit eine Erinnerungskultur, die so gar nicht geeignet ist, aus Fehlern zu lernen. Kolonialismus-Exponate, zusammengekratzt aus Archiven, die zu Berliner Insel-Lagezeiten irgendwo in Dahlem schlummerten sollen halbherzig einer Pseudo-Auseinandersetzungs-Darstellung „Raubkunst“ zeigen.

Reaktionärer geht es kaum.

Veröffentlicht am: 28.10.2021 | Kategorie: Kolumne Jeannette Hagen, Redaktion-Tipp,

5 Meinungen zu “Kolumne: Als hätte es die DDR nie gegeben

  1. Rudolf Bernd sagt:

    Liebe Frau Jeanette Hagen,
    ich sehe die Dinge (als Wiener) teils wie Sie, teils anders!
    Ich besuchte den Palast der Republik im Spätsommer 1972. Mein persönlicher Eindruck war, dass man mit dem Bau in erster Linie auf die deutsche Vergangenheit pinkeln wollte (Klassenkampf mit Hilfe einer Architektur, die den Geschmack der DDR-Bonzen mit Ihrem Funktionärsbarock verwirklichte). Nein ‚Erichs Lampenladen‘ brauchen wir nicht nachzuweinen…der Geschmack von gegen Ästhetik geimpften Neureichen! Und dann kam die Wende und man fragte sich, wie es weitergehen sollte und da setzte sich jene Meinung durch, die wir aus der DDR schon kennengelernt hatten: jetzt pinkeln wir!!! Weg damit!
    Es zeigt sich, dass Stilunsicherheit leicht zu Katastrophen führen kann: die Chance für einen ästhetischen Neubau wurde vertan.
    Die innerdeutsche Problematik zwischen Ost und West ist mir gut bekannt und ich orte menschliche Überheblichkeit auf beiden Seiten. Da sind einerseits die Westler, die alles, was sie selber machen als Kultur begreifen (auch wenn es keine ist!) – auf der anderen Seite bin ich aber überrascht, wie die DDR-Gehirnwäsche noch nachwirkt: ein Schloss ist kein antidemokratisches Symbol, sondern es ist ein Relikt aus einer feudalen Zeit, in der es reiche Menschen gab (sonst nichts- das Schloss kann nichts dafür, dass es in seiner Zeit gebaut wurde und es ist kein Symbol für etwas Politisches, sondern es ist nur ein Schloss). Ich selbst liebe Schlösser, wenn sie schön sind!
    Lassen wir die Kirche im Dorf: halten wir die Politik von der Architektur fern: Politik ist modisch und vergänglich – echte Kunst ewig (wie ein berühmter Künstler gesagt haben soll).

    • Mathias Jahn sagt:

      Im Prinzip ja – aber: Ein ALTES Schloß ist kein „antidemokratisches Symbol“. Aber wenn man eines im 21. Jahrhundert neu baut, dann schon. Ja, man kann Schlösser „schön“ finden – aber echte Kunst sind sie nur, wenn sie echt sind. Das Humboldt-Forum ist nicht echter oder künstlerisch wertvoller als die Mall am Potsdamer Platz. Schade, find‘ ich beides nicht schön. 😉

      • Rudolf Bernd sagt:

        ich habe in meinem Post deutlich gemacht, dass die Chance an prominenter Stelle etwas Besonderes entstehen zu lassen, ausgelassen wurde (was ich sehr bedaure!), aber die Entscheidung ist nicht antidemokratisch, sondern schlicht einfallslos! Reaktionär ist ein politischer Begriff aus der Mottenkiste des 20. Jahrhunderts!

  2. Dinse, Petra sagt:

    Sie sprechen mir sooo sehr aus dem Herzen. Mich hätte noch der Anlass ihres Artikels, der Kommentar von Götz Aly, erläuternd interessiert.

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