Kultur heißt Vielfalt

Kultur heißt Vielfalt, Kunstleben Berlin

Es ist noch nicht so lange her, da machte der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, mal wieder von sich reden. In einem Facebook-Post stellte er die Frage in den Raum, welche Gesellschaft die Deutsche Bahn wohl abbildet, wenn sie auf ihrer Startseite seiner Ansicht nach bis auf eine Ausnahme nur Menschen mit Migrationshintergrund zeigt. Er würde ja nur mal fragen. Den Shitstorm, den dieser Post nach sich zog, hatte er bereits einkalkuliert, er hinderte ihn also nicht daran, sein fragwürdiges Gesellschaftsbild hinauszuposaunen. Genauso wenig wie die bunte Vielfalt an Gästen der Bahn mag Palmer die Stadt Berlin. Kein Wunder, denn Berlin bildet genau diese Mischung ab – eine multikulturelle Gesellschaft.

Ich möchte gar nicht weiter auf den Rassismus eingehen, der zwischen den Zeilen Palmers steckt. Das wurde ausreichend in den sozialen Medien kommentiert. Mir ist etwas anderes wichtig und dazu wechseln wir kurz die Perspektive und Sie begleiten mich nach Brandenburg. Wer dort ab und zu unterwegs ist, wird die Kiefernwälder, die das Land durchziehen, bemerkt haben. Kiefer an Kiefer – wie Bleistifte stehen sie aneinandergereiht, zwischendrin liegt mal ein Baum quer, die sonst in Wäldern üblichen Bäume in unterschiedlichen Wachstumsphasen, Sträucher oder Todholz sucht man vergeblich. Man könnte meinen, die Wälder sind auf dem Reißbrett geplant. So ähnlich stelle ich mir Tübingen vor, jedenfalls das Tübingen oder die Welt, die Palmer wohl gern hätte. Alles schön ordentlich, alles schön einheitlich, alles nach Plan, alles übersichtlich. Keine Störgrößen. Doch so funktioniert das Leben nicht, so hat es noch nie funktioniert.

Was Menschen wie Palmer nicht sehen, ist die Anfälligkeit dieser Monokulturen. Auf den Wald bezogen bedeutet das, dass die Bäume durch die Dürre des letzten Jahres, durch Wetterextreme und Fressfeinde mehr und mehr Schaden nehmen. Zudem laugen die Bäume selbst den Boden aus und können im Gegensatz zu Mischwäldern das Grundwasser nicht so gut halten. Damit schaufeln sie sich ihr eigenes Grab. Ein Teufelskreis. 2018 brannte allein in Brandenburg eine Fläche von über 400 Hektar Wald völlig ab. Zurück blieb eine Öde und es wird Jahre dauern, diese Fläche zu rekultivieren.

Was das mit Kultur zu tun hat? Viel. Denn abgesehen davon, dass das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung eigentlich aus der Landwirtschaft kommt, also Bebauung, Bearbeitung, Bestellung und Pflege bedeutet, lebt Kultur von Vielseitigkeit. Wie arm wäre unsere Kultur, beschränkte sie sich ausschließlich auf Deutsches Brauchtum. Wie öde, wie fad wäre es auf Dauer, auf all die bunten, exotischen, fremden, internationalen Einflüsse zu verzichten? Wie farblos wäre unser tägliches Leben? Und wie anfällig wäre eine Kultur, die aus sich heraus nur Inzucht produzieren kann, wenn sie nicht von außen befruchtet würde? Das Leben braucht Reize, um sich zu entwickelt. Eintönigkeit lässt uns verarmen. Menschlich und körperlich. So gut Minimalismus und Reduktion zweitweise sind, so schlecht sind sie auf Dauer, denn Einseitigkeit wird unserem Dasein nicht gerecht. Es ist wie in vielen Bereichen: Die Mischung macht es.

Nun könnte jemand einwenden, dass so manche heimische Art ausstirbt, weil der “Feind” aus fernen Ländern das Territorium übernimmt. Ein derzeit sehr gern genutztes Narrativ in einigen Kreisen. Ja, in der Tier- und Pflanzenwelt keine Besonderheit, bei uns Menschen nicht möglich. Warum? Weil es keine unterschiedlichen menschlichen Rassen gibt. Es ist lediglich die Vielfalt der Ausprägung bestimmter Eigenschaften, die im Übrigen der Menschheit das Überleben sichert. Und das, was auch für Menschen gilt, stimmt auch für Kunst und Kultur.

Wenn Berlin auf eine Sache wirklich stolz sein kann, dann ist es nicht nur das unglaubliche Potpourri kultureller Angebote, sondern auch die Vielfalt der Menschen, die diese Stadt und ihre Kultur beleben und prägen. 190 Nationen vereint Berlin unter einem Dach. Manche sind nur auf der Durchreise, andere bleiben für immer. Es gibt sogar ein Projekt, das sie sichtbar macht. Der Fotograf Georg Krause fotografiert seit einigen Jahren unter dem Label “Ich bin ein Berliner” nicht nur die Menschen aus den verschiedenen Ländern, sondern zeigt auch das, was sie mit zu uns bringen – andere Sprachen, andere Perspektiven, andere Ideen. Ein wichtiges Projekt angesichts der Deutschtümelei, die derzeit wieder unter den Teppichen hervorkriecht und sich in unserer Demokratie wie ein Schädling breitmacht.

In Brandenburg hat man übrigens beschlossen, sich von der Monokultur zu verabschieden und wieder auf Mischwälder zu setzen. Ein guter Entschluss, der vielleicht auch zu Herrn Palmer durchdringt und sein schwarz/weiß geprägtes Weltbild ein bisschen bunter macht. Vielleicht sollten wir ihm auch gleich noch einen Link zu unserer Seite schicken, denn in naher Zukunft werden wir hier auf Kunstleben Berlin täglich ein Bild des Künstlers Georg Krause veröffentlichen, nicht nur, um ein Zeichen zu setzen, sondern auch, um uns auf diese Art bei all diesen Menschen für ihren Beitrag zu unserer multikulturellen Gesellschaft zu bedanken.

Veröffentlicht am: 04.05.2019 | Kategorie: Ausstellungen, Kolumne Jeannette Hagen, Kultur, Kultur - was sonst noch passiert, Redaktion-Tipp, | Tag: Jeannette Hagen,

Eine Meinung zu “Kultur heißt Vielfalt

  1. Kunstlandschaft sagt:

    Genetische Vielfalt ist Kultureller Schatz. Geld regiert Welt. Rassismus (inkl. Sexismus) sind Teil der Maxime von der Überlegenheit des Konkurrenzkampfes gegenüber Kooperation. Konkurrenzkampf förderte, fördert Scherung der Gesellschaft in geldarm, geldreich. Von zehn Kindern unterschiedlicher Herkunftsländer und Kulturen wollten neun als Könige Geld an Arme verteilen, nur ein Kind wünschte sich ganz viel Schokolade. Berlin kann nicht stolz sein – Geld wird ungleich verteilt, http://kunstlandschaft-spandau.de/kunstamt_kontra-_mobile_jugendkunstschule.pdf , Wohnungen gemeinnütziger Unternehmen wurden an Spekulanten verkauft… Diskussionen über Rassismus wirken wie Ablenkungsmanöver von Grundfragen der Gesellschaft – Mitspracherechte über Arbeitsziele, Arbeitsbedingungen wurden mit Hilfe von Hartz4Gesetzen außer Kraft gesetzt, gemeinnützig orientierte Arbeit wird nicht als Arbeit anerkannt… Teile und herrsche!

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