Theater in Zeiten der Pandemie – IN MY ROOM

in my room, , Jeannette Hagen für Kunstleben Berlin

Hat die Pandemie Vorteile? Ja, hat sie. Zum Beispiel den, dass man ohne große Hürden unglaublich viele hervorragende Theaterstücke von jedem beliebigen Ort aus besuchen kann. Aufführungen, für die man sonst nie Karten bekommen hat, die vielleicht zu weit weg oder an einem Tag gespielt wurden, an dem man nicht konnte.

Fast alle Theater bieten mittlerweile Streams ausgewählter Stücke an und ganz ehrlich: Ich hoffe, dass sie das beibehalten. Gern können sie die Preise, die derzeit zwischen „Zahle, was Du willst“ und einem Minibetrag schwanken, erhöhen. Ich bin gern bereit, dafür Geld auf den Tisch zu legen, denn es eröffnen sich im wahrsten Sinne völlig neue Räume.

Theaterstreaming?

Betrachtet man es neurologisch, dann fordert ein Theaterstreaming unser Gehirn und unsere Sinne natürlich nicht so heraus, wie ein richtiger Theaterbesuch. Der Kontakt mit anderen Menschen, die räumlichen Eindrücke, wenn wir in einem großen Saal sitzen, ja selbst das störende Hüsteln – all das nehmen wir auf und verarbeiten es. Der Neurowissenschaftler Dr. Sven Sebastian hat das vor ein paar Tagen auf Radio eins sehr schön erklärt – darum hier zum Nachhören:

Interview

Mit dieser Sinnesvielfalt kann ein Stream natürlich nicht mithalten, trotzdem liegt der große Vorteil der virtuellen Theateraufführungen vor allem darin, dass die Barrieren, die es sonst oft gibt, reduziert sind. Viele Menschen haben Schwellenangst, trauen sich nicht in ein Theater. Für andere ist es zu teuer, wiederum andere waren vielleicht sogar noch nie im Theater, würden sich aber gern mal herantasten. Schulklassen haben leichteren Zugang, weil die Streams meist 24 oder 48 Stunden zur Verfügung stehen, sodass man das Stück notfalls sogar auf zwei Tage aufteilen kann. Insgesamt also wirklich ein Gewinn.

Und damit der Artikel nicht nur bei der Theorie bleibt, möchte ich an dieser Stelle auf ein Stück hinweisen, das bereits viel gelobt wurde und auch bei mir schon lange auf der „Das will ich unbedingt sehen“ Liste stand: „IN MY ROOM“ von Falk Richter, aufgeführt im Gorki Theater. Als Stream zu sehen am 3. und am 17. März 2020.

Was bedeutet es, im Jahr 2020 ein Mann* zu sein?

„Ist die Krise der Gegenwart eine Krise der Männlichkeit? Die Zeit ist reif für neue Entwürfe. Doch obwohl alles in Bewegung ist, kündigt sich ein konservativer gesellschaftlicher Rollback an. Der Mann* scheint in den alten Mustern festzustecken, ein Gefangener im System der männlichen Vorherrschaft. Was bedeutet es, im Jahr 2020 ein Mann* zu sein? Falk Richters Rechercheprojekt In My Room entspinnt aus dem intimen Raum eines Sohns und Autors ein vielschichtiges Geflecht aus Erinnerungen, Bildern und Stimmen und verwebt biografische Erfahrungen mit gesellschaftlichen Erzählungen. Es sind Momentaufnahmen von Söhnen, die sich an ihre Väter, an Familienrituale, Alltagsgeschichten und gesellschaftliche Entwicklungen erinnern. In My Room ist ein autofiktionaler Selbstversuch, in die unergründete Blackbox, die Väter hinterlassen haben, einzutauchen auf der Suche nach den Spuren der Väter im eigenen Leben.“

Das Stück ist für „Stücke 2020“ der Mühlheimer Theatertage nominiert. Der Autor und Regisseur Falk Richter zählt mittlerweile zu den bedeutendsten zeitgenössischen Dramatikern und Theaterregisseuren. Sein Stück „IN MY ROOM“ könnte aktueller kaum sein, zeigt sich doch in Amerika und auch hier in Deutschland gerade, was toxische Männlichkeit anrichten kann. Wie destruktiv Kräfte werden können, wenn falsche oder fehlende Rollenvorbilder so etwas wie Mitgefühl verdrängen und stattdessen Hass, Wut und Gewalt fördern.

Wir brauchen das Theater, um in den Spiegel der Gesellschaft zu schauen. Darum ist es so großartig, dass die Theater trotz Pandemie Lösungen gefunden haben. Wir sollten sie reichlich nutzen.

Link zum Stück: https://www.gorki.de/de/stream-in-my-room

 

Veröffentlicht am: 03.03.2021 | Kategorie: Kolumne Jeannette Hagen, Kultur, Kultur - was sonst noch passiert, Redaktion-Tipp, | Tag: Jeannette Hagen, Theater,

Eine Meinung zu “Theater in Zeiten der Pandemie – IN MY ROOM

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