Berlin-Flaneur: Schöneweide lohnt sich…

Transformart Festival

Zeitgenössische Kunst trifft auf knallharte Industriekultur. Das Transformart Festival erföffnete gestern seine Türen. Jährlich lädt das Transformart-Festival mit einer bundesweiten Ausschreibung Künstlerinnen und Künstler ein, sich um eine Teilnahme am letzten Wochenende vor den Sommerferien zu bewerben. Der Name „transformart“ impliziert schon einen erweiterten Kunstbegriff, bei dem bewusst Schnittstellen zwischen klassischen und neuen Genres bildender und darstellender Kunst und Musik ausgelotet werden.

Ein Text von Jana Noritsch. Während unsereins wöchentlich prüft, mit welcher neuen Hard- oder Software wir uns die Arbeitsprozesse erleichtern können, verabschiedet sich Hausmeister Lemke in den Rathenauhallen langsam in den Ruhestand – vor über vierzig Jahren hatte er hier seine Lehre begonnen und blieb sein ganzes Leben.

Es ist verrückt: Immer, wenn ich Einladungen vom Industriesalon, von den Moving Poets der NOVILLA oder der Galerie Schöne Weide erhalte, poppen unmittelbar die „Arbeiterbilder“ des Fotokünstlers Georg Krause vor meinem geistigen Auge auf. Zu Beginn der Achtzigerjahre begleitete er hier die Brigade in der Wilhelminenhofstraße (Standguss des VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke BMHW) – und fotografierte mit brillantem Auslöser deren Arbeitsalltag (zu finden auf: www.georg-krause.de/portfolio/arbeit).

Transformart-Festival

Viel ist seither geschehen: Schöneweide ist heute tatsächlich sehr viel bunter, grüner und sonniger. Vor allem Handwerksbetriebe, Designlabels, Musiker in Proberäumen und sehr, sehr viele Künstlerinnen und Künstler wirken in der ehemaligen Industrielandschaft der Elektropolis Berlin. Jährlich lädt das Transformart-Festival mit einer bundesweiten Ausschreibung Künstlerinnen und Künstler ein, sich um eine Teilnahme am letzten Wochenende vor den Sommerferien zu bewerben. Auf der Internetseite ist zu finden, welche Hallen von welchen zirka 60 Ausstellern bespielt werden: transformartfest.de.

Im Gebäude 74 begegne ich einer Sonderschau der Galerie Schöne Weide, die als Partner des Festivals hier eine eigens kuratierte Dependance realisiert hat. Ich freue mich, bekannte ‚Striche‘ wie auch neue Bildwerke zu erblicken: Steffen Blunk, Martin Heinig, Georg Krause, Matthias Moseke und Hans-Jörg Dürr.

„Die kargen Räume verlangen starke Positionen, die sich auch in der rauen Umgebung behaupten. Ich bin meiner Intuition gefolgt,“ sagt mir der Galerist Michael Fritsch, „und die fünf Künstler passten sowohl in die Räume als auch zueinander. Jeder Künstler hat einen eigenen Raum. Die Besucher gehen durch verschiedene Welten, jeder Raum ist anders, gleichwohl gehören alle zusammen, zu einer Ausstellung, zu einem Konzept, zu einer Galerie.“

Steffen Blunk hat eine bemerkenswerte Art, in der Verarbeitung von Kriegs-Themen Menschlichkeit und Liebe herauszuholen – und zwar durch figurative Leerstellen, die er aus den bemalten Holzplatten mit einem Beitel aussticht. Die anonymisierten Protagonisten fehlen so sehr, dass einem ein kalter Schauer über den Rücken läuft. „Vertreibung aus dem Paradies“ oder „Irgendwo ist immer Krieg“ sehen Sie im Internet auf steffen-blunk.de.

International bekannt für seine wirklich starken Portraits ist Martin Heinig, der aufgrund eines Auftrags für Mercedes Benz Mitte der Neunziger sein Atelier im hiesigen Transformatorenwerk fand. Über die Malerei sagt der Baselitz-Schüler: „Malen bietet fantastische Möglichkeiten, sich zu artikulieren. Es entwickelt sich meditativ oder aggressiv, laut oder leise, mit Sinn oder viel Sinn für Unsinn, geplant oder zufällig, mit einer leichten Hand oder einem anstrengenden Kampf. Der Betrachter weiß nichts davon. Er kommuniziert neu mit dem Bild und jeder ist anders. Es gibt nie den gleichen Austausch, die gleichen Gefühle und Lösungen. Und so funktioniert es über Jahrhunderte und noch länger – was für ein Medium!“ (Martin Heinig: www.martinheinig.de)

Eat or be eaten. © Martin Heinig (mit freundlicher Genehmigung der Galerie Schöneweide)
Eat or be eaten. © Martin Heinig (mit freundlicher Genehmigung der Galerie Schöneweide)

Georg Krause, der Fotografie-Künstler, begegnet den Menschen offen, wissbegierig und freundlich. Sympathie ist zwingende Voraussetzung für eine Session. Der Versuch, sein Gegenüber aus der Halbdistanz zu ergründen – und einzufangen – spricht aus jedem seiner Bilder. Nie würde er Grenzen überschreiten. Beachtenswert ist auch seine Initiative „Ich bin ein Berliner!“ (Anm. Red.: über die Kunstleben Berlin bald mehr berichten wird). Das Projekt möchte Menschen aus den 190 Nationen, die in Berlin leben, porträtieren und somit die Vielfalt unserer Stadt festhalten. Und erneuten faschistischen Anfängen währen: In und nach der Reichspogromnacht wurden Menschen mit anderer politischer Auffassung, anderer Kultur, anderer Hautfarbe, anderer sexueller Orientierung oder religiöser Überzeugung vertrieben, verfolgt, inhaftiert oder ermordet. Infos: www.ichbineinberliner190.de/projekt

Ich bin ein Berliner @Georg Krause
Eddy, Kongo.
Ich bin ein Berliner
@Georg Krause

Matthias Moseke: Gegenläufige oder plane Strukturen, pastose Farbflächen, deutlicher Duktus und eine reduzierte Palette sind charakteristisch für seine informellen Arbeiten. Ob tiefdunkel oder gleißend hell, Mosekes Werke transportieren seine optimistische Haltung zum Leben und zur Leidenschaft (www.moseke.de). (Anm. Red.: Kunstleben Berlin Galerie Gespräch mit Moseke und Galerist Michael Fritsch)

Immanent - rot. © Matthias Moseke (mit freundlicher Genehmigung der Galerie Schöneweide)
Immanent – rot. © Matthias Moseke (mit freundlicher Genehmigung der Galerie Schöneweide)

Hans-Jörg Dürr bringt in verschiedenen Schichten und Kompositionen Abstraktes aus Zeichnung und Malerei auf seine Leinwände. Unaufhörlich experimentiert er mit Techniken, Materialien und Formen. (http://www.hans-jorg-durr.eu)

Hommage Bauhaus (1/3-teilig) © Hans-Jörg Dürr (mit freundlicher Genehmigung der Galerie Schöneweide)
Hommage Bauhaus (1/3-teilig) © Hans-Jörg Dürr (mit freundlicher Genehmigung der Galerie Schöneweide)

Allenthalben eine spannende Symbiose: Zwischen dem Festival und der Galerie gibt eine große Schnittmenge, inhaltlich und aufgrund der Nachbarschaft. Ich finde es toll, wenn sich Kräfte bündeln. Und wer weiß, wie lange es solche Orte noch gibt – Investoren für Eigentumswohnungen stehen bereits in der Tür. Danke an Michael Fritsch für seine Offenheit und Galeriearbeit (www.galerie-schöne-weide.de), die all diese urbanen und künstlerischen Prozesse begleitet, reflektiert und ein Stück weit mitgestaltet, denn alle sechs Wochen eröffnet die Galerie eine neue Ausstellung. Im Moment sind drüben auf der anderen Straßenseite Arbeiten von Bettina Ingwersen zu sehen. Und auch beim renommierten EMOP – dem Europäischen Monat der Fotografie war die Galerie mit Künstlern vertreten.

Text: Jana Noritsch, Kunstleben Berlin

Veröffentlicht am: 13.06.2019 | Kategorie: Ausstellungen, Berlin Flaneur, Kolumne Jana Noritsch, Kunst - was sonst noch passiert,

4 Meinungen zu “Berlin-Flaneur: Schöneweide lohnt sich…

  1. Pingback: Villa Offensiv „Design gestaltet Diversität“ - Kunstleben Berlin - das Kunstmagazin

  2. Pingback: MUTAUSBRUCH Lichtkonzeptkunst in der Galerie Schöne Weide - Kunstleben Berlin - das Kunstmagazin

  3. Pingback: Zeichenzirkel #2 heute in der Novilla: Susanne Roewer - Kunstleben Berlin - das Kunstmagazin

  4. Pingback: Open Studios in Oberschöneweide - Kunstleben Berlin - das Kunstmagazin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert