(Outside) Flaneur: Culture Clash am Hackeschen

Culture Clash am Hackeschen © Jana Noritsch

Zwischen den Hackeschen Höfen mit den sanierten Jugendstilelementen und den wirklich völlig verkitschten Rosenhöfen befindet sich das Haus Schwarzenberg wie ein Gallisches Dorf. Eine spannende Mischung aus Reise in die Vergangenheit und quirligem Jetzt. Hier stellt sich die freie Kunst- und Kulturszene gegen die Kommerzialisierung – nicht nur was den Immobilienmarkt angeht, sondern auch den Kunstmarkt. Seit 25 Jahren bewahrt die Gemeinschaft des Haus Schwarzenberg e.V. dieses Gelände mit seinem interkulturellen Social-Art-Spirit – und wir machen uns auf den Weg in die Neurotitan Galerie.

Das Tor in eine andere Welt

Wir treffen uns am Hackescher Markt und falls heute Donnerstag oder Sonntag ist, gibt es hier einen schönen Wochen- und Streetfoodmarkt ;-). Wir spazieren rüber zur legendären, verschachtelten Architektur der Höfe zwischen Hackeschem Markt und Scheunenviertel. Hier einzutauchen, ist wirklich spannend – und viele Geschäftstüchtige und Kreative haben diese Gebäude in den letzten hundert Jahren belebt. Heute: Culture Clash… Der Weg zur Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg fühlt sich schon beim Eingang ein wenig wie Harry Potter‘s Bahnsteig 9¾ an, wie das Tor in eine andere Welt. 

„Wear your mask with a smile”  vom Künstlerkollektiv Various and Gould, Haus Schwarzenberg
„Wear your mask with a smile”  vom Künstlerkollektiv Various and Gould, Haus Schwarzenberg

Wer in den ersten Hof der Rosenthaler Straße 39 läuft, sieht die von Künstlern aus der ganzen Welt gestalteten Wände: Stencil, Malerei, Siebdruck, Ad-Busting, Folien und politische Sticker sowie kleine Installationen sorgen für eine außergewöhnliche Outdoor-Ausstellung. Sie wird kuratiert, und etwa alle sechs Monate wechseln die Murals.

Die Messages der Künstler:innen sind meist sozialkritisch, solidarisch und farbintensiv – und können unter dem Begriff Social Art gefasst werden. Mitunter sind die Arbeiten sogar so gut, dass sie leider des Nachts auch schon mal mittels eines Meißels gestohlen wurden.

Von VESUV (Sebastian Boldt) ist das Wandbild „Isolation – Stronger Together“, der Collagen-Siebdruck-Aufkleber „Wear your mask with a smile” ist vom Künstlerkollektiv Various & Gould. Das Mural „Berlin Bear“ hat Pablo Ientile beigetragen und der Charlie Chaplin wurde von OSch (Otto Schade) realisiert.

Inmitten des Hofes begegnet uns auf der linken Seite das bemerkenswerte Portraitgemälde Otto Weidt am Eingang des Museums Blindenwerkstatt Otto Weidt. Hier beschäftigte der Kleinfabrikant Weidt während des Zweiten Weltkrieges hauptsächlich blinde und gehörlose Jüdinnen und Juden, die Besen und Bürsten herstellten. Otto Weidt bemühte sich, seine jüdischen Arbeiterinnen und Arbeiter vor Verfolgung und Deportation zu schützen. Als die Bedrohung immer größer wurde, suchte er für einige von ihnen Verstecke und eines von ihnen befand sich in den Räumen des heutigen Museums. Den Dokumentarfilm dazu von Carsten Krüger findet ihr hier: Die Blindenwerkstatt Otto Weidt

Gegenüber befindet sich das Anne Frank Museum. 2016 restaurierte der australische Street-Art-Künstler Jimmy C sein Anne-Frank-Portrait von 2012.

Otto Weidt, Museum Blindenwerkstatt, Haus Schwarzenberg
Otto Weidt, Museum Blindenwerkstatt, Haus Schwarzenberg

Neurotitan Galerie

Sobald ihr jetzt den nächsten Bogen passiert, steht ihr am Treppenaufgang zum Neurotitan. Gezeigt wird Malerei, Zeichnung, Grafik, Bildhauerei, Fotografie, Videokunst, Film, Performance, Installation, (alternative) Comics sowie Street Art. Verschiedene Kurator:innen realisieren diverse Ausstellungsformate. Im Oktober letzten Jahres gab es eine Gruppenshow mit Arbeiten von Marta Vovk, Elisabeth Sonneck, Johannes Mundinger, Jorinde Fischer, Lena von Goedeke, Leonid Keller und vielen mehr. Und im Neurotitan hat auch die von Fehmi Baumbach und Jim Avignon seit 25 Jahren kuratierte Ausstellungsreihe „Who is afraid of Capitalism?“ Tradition. Die 17. Ausgabe der legendären Friendly Capitalism Lounge findet übrigens am 27. März um 17 Uhr statt – leider online, aber immerhin! Holger Beier („Forever 21“) hat das Neurotitan im 3D-Raum nachgebaut: Der Zugang ist denkbar einfach, über ein Smartphone oder Computer kann die virtuelle Galerie besucht werden, ohne dass weitere Apps oder Programme installiert werden müssen. In der Ausstellung werden Arbeiten von Danielle de Picciotto, Fehmi Baumbach, Jim Avignon, Katharina Großmann – Hensel, Kerstin Kary, Lupe Godoy, Maja Hürst, Makulatur/Eva Deutschewitz und Tobias Molitor zeigt.

Da es den Betreibern des Neurotitan vorrangig um Teilhabe und Community geht, werden viele Workshops angeboten, die Interessierten neben Malerei oder Siebdruck auch inklusives „Stencil & Braille Graffiti“ nahebringen. Festivals und Veranstaltungen der Urban Art Szene finden hier ihre Ausgangs- oder wichtige Anknüpfungspunkte. Kooperationspartner sind oft das Goethe-Institut, die Heinrich-Böll-Stiftung oder Le Monde diplomatique. Kleinere Kunstwerke internationaler Künstler und Kunst- sowie Comicbücher könnt ihr in dem angrenzenden Shop zu wirklich adäquaten Preisen erstehen. 

Wenn es wieder geht und ihr das Aus-der-Zeit-gefallen-Gefühl der bröckelnden Hausfassaden des Schwarzenberg noch vertiefen wollen, empfiehlt sich ein Getränk im cineastischen „Café CC“. Für noch mehr Szene-Schnuppern seid ihr im kultigen „Eschschloraque Rümschrümp“ richtig.

Ort:

Neurotitan Galerie im Haus Schwarzenberg 

2. Hof, 1. Obergeschoss; Berlin-Mitte, Rosenthaler Straße 39; Anfahrt: S-Bahn Linie 5, 7, 75 oder 9 (Haltestelle Hackescher Markt), U-Bahn Linie 8 (Haltestelle Weinmeisterstraße), Tram Linie M1, M4, M5, M6 (Haltestelle Hackescher Markt bzw. Weinmeisterstraße/Gipsstraße).

Veröffentlicht am: 06.04.2021 | Kategorie: Kolumne Jana Noritsch, Kultur, Kultur - was sonst noch passiert, Kunst, Kunst - was sonst noch passiert, Redaktion-Tipp, | Tag: Kolumne Jana Noritsch,

3 Meinungen zu “(Outside) Flaneur: Culture Clash am Hackeschen

  1. Pingback: Léon Ferrari – Reproducing Them Infinitely | Feuilletonscout. Das Kulturmagazin für Entdecker

  2. arno caprez sagt:

    guten tag,
    warum diese zu eng gesetzte hellgraue schrift?
    um dem leser die lesbarkeit zu erschweren?
    oder um in den mainstream modetrend einzuschwenken?
    schade um die gute alte typografie, die dem leser das lesen erleichtern wollte.
    gruss mit augenweh:
    c.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert