There’s No Such Thing as Solid Ground – Gropius Bau

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There’s No Such Thing as Solid Ground – Vom 10. Juli bis 13. Dezember 2020 präsentiert der Gropius Bau die Ausstellung There’s No Such Thing as Solid Ground von Otobong Nkanga.

Die komplexe, sich ständig verändernde Beziehung zwischen Mensch, Land und Strukturen von Reparatur und Fürsorge ist ein zentrales Thema von Otobong Nkangas Ausstellung There’s No Such Thing as Solid Ground im Gropius Bau. Ihr Werk, das sich mit globalen ausbeuterischen Extraktionsverfahren befasst, richtet einen poetischen und gleichzeitig kritischen Blick auf das wechselseitige Verhältnis von Menschen, Flora und Fauna sowie von natürlichen Ressourcen, insbesondere Mineralien.

Nkanga versteht den Begriff „Land“ als eine geologische und diskursive Formation, die über Vorstellungen von Erde, Boden und kartierten Territorien hinausreicht – ein Terrain, auf dem ökologische, wirtschaftliche, politische und soziale Kräfte in wiederkehrenden Rhythmen von Konflikt und Verhandlung miteinander gefangen sind. Land bedeutet für Nkanga einen Ort, an dem wir Menschen durch neue Formen der Umverteilung und des Zusammenlebens um Lösungen ringen. Auf Grundlage intensiver Forschung und durch die Verschränkung von Medien wie Installation, Performance, Zeichnung, Poesie und Storytelling umspannt Nkangas Werk die Zeitlichkeit kolonialer Regime sowie die Operationen verborgener globaler Netzwerke, die auf lebende Organismen einwirken. There’s No Such Thing as Solid Ground präsentiert eine Reihe von Installationen und Performances, aber auch eine neue Wandzeichnung und eine Mehrkanal-Soundarbeit.

Im ersten Raum der Ausstellung wird die Installation Taste of a Stone (2010-2020) zu sehen sein – ein Innengarten, der eigens für diesen historischen Raum inszeniert wurde und der sich ständig weiterentwickelt. Die Landschaft aus Kies und großen Steinen wirkt harmonisch, setzt aber gleichzeitig die Materialien Stein und Knochen in Beziehung zum Erbe von Zwangsarbeit, geologischen Funden und pulverisierter Erdmaterie. Er dient auch als Treffpunkt für eine Reihe von Vorträgen, Workshops und sozialen Begegnungen.

Diaspore (2014/2020) ist eine täglich stattfindende Performance-Installation mit Frauen*, die sich der Schwarzen, Afrikanischen und/oder Afrodiasporischen Community zugehörig fühlen. Auf ihren Köpfen tragen sie Töpfe mit Cestrum nocturnum (Nachtjasmin). Die Arbeit durchkreuzt Linien von Abstammung und mündlicher Erinnerung und verweist auf Verwurzelung und Verlassenheit, während sie in die mächtige und allgegenwärtige Selbstbekenntnis Schwarzer Existenz einstimmt.

Für die Ausstellung im Gropius Bau komponiert Nkanga ihre Mehrkanal-Soundarbeit Wetin You Go Do? Oya Na (2020) neu. Die skulpturalen Formen dienen als Gegengewicht zu Machtstrukturen und fragiler Balance in Zeiten von Enteignung und Angst. Durch polyphone Töne und Echos sowie Gesänge und stimmliche Äußerungen der Künstlerin in englischer und nigerianischer Pidgin-Sprache wirkt diese Installation wie eine akustische Kammer, die Notationen von Unterwerfung, Rebellion und Widerstandsfähigkeit hervorhebt.

Nkangas Projekte loten Grenzen von Diskurs und Ideologie neu aus. Sie beschäftigen sich damit, wie man jenseits menschlicher Dimensionen restaurative Pflege und Verantwortung etablieren kann. Ihre Werke widmen sich der rapiden Erschöpfung des Planeten als steigende Kosten des algorithmischen Kapitalismus. Die Künstlerin erklärt: „In den Yoruba- oder Igbo-Philosophien zum Beispiel kann man nicht denken, existieren und sich im Raum dieser Welt aufhalten, ohne die Luft, den Wind, den Baum oder die Jahreszeiten zu berücksichtigen“. Manifest of Strains (2018) zeichnet die Wechselwirkungen von Umweltgerechtigkeit, kollektiver Wut und technologischem Begehren anhand einer Installation auf, in der die Elemente Feuer, Wasser und Luft geerntet werden. Durch den Austausch von Energien kennzeichnet dieses mechanistische System Perioden der Latenz, der Korrosion und der Eruption. Darüber hinaus visualisiert es strukturelle Unterdrückung und die kollektive Psyche, in einem Moment, in dem verschiedene Teile der Gesellschaft während Aufständen, Besatzungszeiten und Revolutionen zum Siedepunkt kommen.

Otobong Nkangas vielfältige Herangehensweise an organische Materialität, menschlichen Affekt und Sprache korrespondiert dabei mit den Themen des Ausstellungsprogramms im Gropius Bau: Land, Fürsorge, Anthropozän, Grenzen, globale Ressourcen, Traumata – und deren intrinsische Beziehungen zum menschlichen Körper. Ihr Aufenthalt als In House: Artist in Residence am Gropius Bau im Jahr 2019 hat dazu beigetragen, die Idee von „Reparatur und Fürsorge“ als zentrales Thema des Programms im Gropius Bau zu formulieren.

Während dieses Aufenthaltes beschäftigte Nkanga sich im Rahmen ihres Projekts Carved to Flow, das im Rahmen der documenta 14 (2017) initiiert wurde, auch mit den Besucher*innen des Hauses. Schlüsselaspekte dieser Plattform für Forschung, Zusammenführung und gemeinschaftliche Produktion sind die Vermittlung von Wissen durch Konversation, horizontales Lernen, Poesie und im Fluss befindliche Körper. Für dieses fortlaufende Projekt wird während der gesamten Ausstellungsdauer ein Werkstattraum im Erdgeschoss eingerichtet. Carved to Flow ist als eine unterstützende Struktur konzipiert, die von afrikanischer Architektur inspiriert wurde. Das Projekt erforscht die Bewegung von Materialien und Körpern als Teil eines Prozesses, der um die Herstellung und Zirkulation von O8 Black Stone Seife kreist. In dieser Seife vermischen sich reichhaltige Öle und Buttersorten aus Afrika, dem Nahen Osten und dem Mittelmeerraum – von Orten wassergebundener Migrationsrouten also – mit Holzkohle, dem Überrest organischer Materie, die in Abwesenheit von Sauerstoff karbonisiert wurde. Dadurch wird die Fruchtbarkeit der Regionen mit den Folgen von Krise, Zerstörung, Ausbeutung oder Misswirtschaft kontrastiert: Zustände, die Völker und Pflanzen im übertragenen Sinne nach Luft schnappen lassen.

Carved to Flow ist als fließendes, sich entwickelndes Projekt angelegt. Es ersetzt Ökonomien der Extraktion und Verdrängung durch ein System der Übertragung, bei dem das, was entfernt wird, in der ein oder anderen Form ersetzt oder zurückgezahlt wird. Gegenwärtig finanzieren die Erlöse aus dem Verkauf der O8 Black Stone Seife den Kunstraum Akwa Ibom Athen in Griechenland und die Carved to Flow Foundation in Nigeria, zwei Orte für Kunst und die Archivierung lokalen Wissens.

There’s No Such Thing as Solid Ground erzählt von emotionaler Intelligenz, zirkulärer Zeit und und der Sichtbarmachung von Heilung.

Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Bau, erklärt: „Viele Künstler*innen, mit denen wir in den kommenden Jahren zusammenarbeiten werden, beschäftigen sich intensiv mit den Themen Reparatur und Fürsorge. Das spiegelt auch die ökologischen Krisen und sozialen Turbulenzen unserer Zeit. Der Gropius Bau hat seine eigene bewegte Geschichte. Bei der Renovierung des Gebäudes nach dem Krieg wurden die Spuren der Schäden nicht überdeckt, sondern bewusst sichtbar gelassen – als Erinnerung an die Notwendigkeit, Traumata anzuerkennen und Wege zu finden, über die Zukunft nachzudenken.“ Der Standort des Gropius Bau verleiht Otobong Nkangas Arbeiten eine zusätzliche Dringlichkeit. Fragen von globaler Bedeutung werden aufgeworfen: Wie ist unser Verhältnis zu Land? Wer gehört wohin? Wie können und sollten Grenzen in einer Ära der wachsenden Ressourcenknappheit definiert werden.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Stephanie Rosenthal mit Clara Meister.

Bild: Otobong Nkanga, Taste of a Stone, 2020. Ortsspezifische Installation, Findlinge, Gneis, Granit, Inkjet-Druck auf Kalkstein, Islandmoos, Marmorkies, Movements, Pflanzen Installationsansicht Otobong Nkanga: There’s No Such Thing as Solid Ground, Gropius Bau, Berlin, 2020 © Otobong Nkanga, Foto: Luca Giradini

Datum: 10.07.2020 – 14.12.2020

Martin-Gropius-Bau

Veröffentlicht am: 15.07.2020 | Kategorie: Ausstellungen,

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